Wintermörder - Roman
Geschichte mit Udo Jost setzt ihm zu. Die Familie Winkler ist zu bekannt.«
»Etwas Schlimmeres hätte der Entführer ihm nicht antun können.« Liebler nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee, doch er schlürfte wieder Erwarten nicht. »In einer Stun-de müssen wir in der Rechtsmedizin sein.«
Myriam blickte auf die Uhr in der Küche. »Für heute verschiebe ich am besten alle Termine.«
»Darf ich mir noch einen Zwieback nehmen?«
»Nehmen Sie meinetwegen die ganze Packung mit.«
»Sie sind ja direkt großzügig«, sagte Liebler.
Doch als Myriam die Arme hob, um ihre Haare zu einem Knoten zu drehen, grinste er zum ersten Mal nicht ironisch.
Es war nicht der erste Besuch Myriams im Institut für Rechtsmedizin. Aber noch nie war ihr der Geruch so unerträglich erschienen. Dass sie in ihrem kurzen schwarzen Rock fror, war zu erwarten gewesen. Doch auch ihre Stiefel waren zwar wieder ein Meisterwerk, aber ungefüttert. Krokodilleder. Absatzhöhe genau 9,5 cm. Sie hatte zu Hause nachgemessen. Jeder Zentimeter war schließlich teuer bezahlt worden. Sie hatte Sarah erzählt, die Pradaschuhe bei Ebay erstanden zu haben. Als ob sie darauf warten konnte, dass ihre Wunschstiefel im Internet versteigert wurden.
Henriette Winkler lag nackt auf dem Metalltisch. Ihre Haut sah unter dem Neonlicht wie ein alter Putzlappen aus, den man zu lange feucht aufbewahrt hatte. Sie war nur noch ein runzliges Stück Mensch, dessen Alter sich nicht verleugnen ließ.
Henning Veit stand neben dem Tisch. Beiläufig hob er Henriette Winklers rechte Hand wie zur Begrüßung. Die Haut schob sich zurück, als hätte man sie in aller Eile unordentlich über die Finger gestülpt wie einen Handschuh, der zu groß war.
»Der Tod ist vor vierundreißig Stunden eingetreten«, erläuterte er. »Sie ist erstickt.«
»Gestern hast du von Erfrieren gesprochen.«
»
Du
hast von Erfrieren gesprochen, mein Lieber, aber die-se Todesursache kennt die Rechtsmedizin nicht. Wir sprechen von Hyperthermie oder Unterkühlung. Und wie ich gestern schon erläutert habe, hat jemand mit einem Eimer Wasser das Ganze beschleunigt, indem er für ausreichend Feuchtigkeit und damit entstehende Verdunstungskälte sorgte.«
Unwillkürlich fuhr Myriam zusammen und schlang die Arme um sich.
»Ihnen ist kalt«, bemerkte Liebler. Zu ihrem Schrecken zog er die Jacke aus. Nicht nur das. Er legte sie über ihre Schultern. Es wäre kindisch, sie wieder herunterzureißen.
»Sonst noch etwas?«, wandte sie sich wieder an Dr. Veit.
»Die Platzwunde hier am Kopf sowie zahlreiche Knochenbrüche. Aber das ist kein Wunder. Wissen Sie, welche Konsistenz Knochen in diesem Alter haben? Die zerbrechen schon, wenn Sie so einer alten Frau die Hand geben. Und sie wurde mit Gewalt auf die Terrasse geschleift. Sowohl beide Beine wie Füße sind gebrochen, außerdem die rechte Schulter. Das waren mehr oder weniger Nebeneffekte. Nur der Schlag ins Gesicht, der war gezielt. Sie wurde von der Wucht mit dem Kopf gegen den Marmortisch geschleudert. Anschließend hat er sie durch den Raum gezogen. Das Ganze hat vielleicht mit einer Affekthandlung begonnen, aber am Ende steht der bewusst in Kauf genommene Tod. Er wollte nicht, dass sie diesen Abend überlebt.«
»Es bestand keine Chance, dass sie es zurück ins Wohnzimmer geschafft hätte?« Unwillkürlich fragte Myriam nach Entlastung für den Täter. Sie musste herausfinden, welche Schuld dem Täter zukam. Was er an Qual einkalkuliert hatte. War er ein gnädiger Täter oder ein extrem brutaler? Einer, dem es nur darum ging, zu töten, oder einer, dem das Sterben wichtiger war?
»Vielleicht wenn sie dreißig Jahre jünger gewesen wäre. Nach der Lage des Körpers am Auffindeplatz ist es ausgeschlossen, dass sie versucht hat, sich zu bewegen. Um ins Wohnzimmer zurückzukriechen, hätte sie sich erst einmal auf den Bauch drehen müssen. Nein, sie hatte keine Chance.«
»Wie viel hat sie mitbekommen?«
»Ich würde sagen, zu Beginn alles.«
Also ein langsames Sterben, wobei das Opfer anfangs bei vollem Bewusstsein war. Hatte ihm das gefallen? Ihm Spaß gemacht?
»Er hat also einkalkuliert, dass es lange dauert«, sagte sie.
»Dass er sie mit Wasser übergossen hat, war ihr sicheres Todesurteil. Außerdem war sie nur leicht bekleidet und hatte Alkohol im Blut. Sie konnte sich nicht mehr bewegen, also sich auch nicht durch Bewegung warm halten. Aber ob der Täter wusste, wie lange ein Mensch braucht, um zu erfrieren? Das bezweifle ich. Es war
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