Wintermörder - Roman
Aufgabe, mich darum zu kümmern.«
»Hatte Frau Winkler vielleicht ein Bankschließfach? Oder einen Tresor?«, kam Myriam zu Hilfe.
»Ja«, erwiderte Frau Hirschbach erleichtert. »Sie hatte einen Safe in ihrem Büro.«
»Ja«, sagte Liebler, »aber der war leer, bis auf die Waffe.«
»Waffe?«, fragte Frau Hirschbach schockiert. »Davon weiß ich nichts.«
»Das wissen Sie also nicht, aber haben Sie nicht gesagt, Sie hätten sich um alles gekümmert?«
»Ja, aber ...«
»Sie haben für Frau Winkler Besorgungen gemacht, oder? Sind zum Beispiel zur Bank gegangen. Oder zur Post.«
»Ja, natürlich.«
»Warum wissen Sie dann nicht, wo sie ihre Papiere aufbewahrte? Nach sechzig Jahren?« Liebler wurde lauter.
Der alten Frau traten die Tränen in die Augen.
Der Kater schoss plötzlich hinter dem Sessel vor, direkt an Myriam vorbei, die zusammenzuckte. Vor Liebler blieb er sitzen und starrte mit erhobenem Schwanz zu ihm hoch. Dieser ließ sich jedoch nicht stören. Seine Hand hing scheinbar achtlos neben dem Kater nach unten: »Ihre Diskretion ist bewundernswert. Dann hat Frau Winkler sicher auch nichts von einem Testament erzählt? Ob Sie auch etwas erben werden?«
Der Kater starrte die Hand an.
»Ich bin versorgt«, erklärte Frau Hirschbach. »Carl hat mir schon vor zehn Jahren diese Wohnung gekauft.«
»Eine schöne Wohnung«, bestätigte Liebler »Wem gehört das Haus?«
Der Kater näherte sich der Hand, den Schwanz steif nach oben gerichtet.
»Der Familie Winkler.«
Liebler nickte. »Das kann man auch erwarten, dass Sie Ihnen eine Wohnung zur Verfügung stellen. Sie haben sich schließlich sechzig Jahre um die Familie gekümmert.«
»Carl ist nicht so«, antwortete Frau Hirschbach, ohne zu erklären, wie er nicht war, und im Gegensatz zu wem.
Liebler ging in die Knie und schaute dem Kater in die Augen. Scheinbar gleichgültig fragte er: »Hat Frau Winkler Ihnen von der Zeit im Krieg erzählt? Alte Leute erzählen doch immerzu vom Krieg. Mein Großvater zum Beispiel. Immer dieselben Geschichten. Hat sie nie über diese Zeit gesprochen?«
»Doch, über die Bombenangriffe hier in Frankfurt, dass sie kurz vor Carls Geburt die Stadt verlassen musste. Da kam der Befehl, die Stadt zu räumen, um die Bevölkerung zu schützen. Carl kam im März in einem Straßengraben zur Welt. Der beste Ort, um Bauunternehmer zu werden, hat Herr Winkler immer gesagt. Carl war so ein lieber Junge. So sensibel. Ich habe noch nie ein böses Wort von ihm gehört.«
»Was ist mit der Zeit vor dem Krieg?«
»Es war nie wieder wie vor dem Krieg«, antwortete Frau Hirschbach angestrengt. »Meine Familie hat ja auch alles verloren.«
»Ja«, sagte Liebler ungerührt. »Das bedeutet schließlich ein verlorener Krieg.« Er hatte es geschafft, dass der Kater sich streicheln ließ.»Hat Frau Winkler es bedauert, dass Deutschland den Krieg nicht gewonnen hat?«
Er erhob sich und schaute der alten Frau direkt in die Augen, die schließlich Hilfe suchend zu Myriam blickte: »Darüber haben wir nicht gesprochen. Ich war nur die Hausangestellte«, murmelte sie als Antwort.
»Was ist mit dem Testament?«
»Frau Winkler hat alle Dinge mit Herrn Dr. Conradi besprochen.«
»Herr Conradi?«, fragte Myriam.
»Dem Notar.«
Liebler nahm den Kugelschreiber in die Hand. »Natürlich«, sagte er, »da hätten wir auch selbst darauf kommen können. Wie war der Name?«
»Conradi.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo seine Kanzlei liegt? Wir sollten sofort jemanden dort hinschicken.«
»Am Dornbusch 9.«
»In welchem Stock?«
»Im zweiten.«
Lieblers Stimme verlor von einer Sekunde zur anderen seine Verbindlichkeit.»Sie wissen also nichts über die persönlichen Angelegenheiten von Frau Winkler, kennen aber die Straße, in der der Notar seine Kanzlei hat? Wissen sogar, in welchem Stockwerk sie liegt? Obwohl Sie angeblich nie dort gewesen sind?«
Frau Hirschbach schluchzte plötzlich auf. Ihre Hände griffen nach den Papiertaschentüchern, die auf dem Tisch bereitlagen. »Ich musste doch immer alles persönlich vorbeibringen. Da war Frau Winkler eigen. Sie erlaubte nicht, dass es mit der Post geschickt wurde.«
»Warum Sie? Warum nicht ihr Sohn?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was haben Sie denn vorbeigebracht?«
»Große Umschläge.«
»Aha, große Umschläge. Was befand sich in diesen Umschlägen?«
»Sie waren versiegelt.«
»Versiegelt?«
»Ja.«
»Wie?«
»Mit Wachs.«
»Und es stand nichts darauf?«
»Nein.«
»Wann haben
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