Wintermörder - Roman
Monate alt. Frau Winkler suchte ein Kindermädchen. Ihr Mann war nicht da. Es waren ja überhaupt keine Männer da. Es gab auch keine Angestellten mehr. Und als wir hier ankamen, ich war ja die Älteste von uns, da habe ich mich um Carl gekümmert.«
»Wann genau war das? In welchem Monat?«
»Im Mai.«
Die Antworten kamen schnell und präzise, fast, als hätte sie diese vorbereitet. Myriam wechselte mit Liebler einen Blick.
»Seit dieser Zeit also arbeiten Sie für die Familie?«
»Ja.«
»Waren Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Haben Sie Kinder?«
Rote Flecken brannten plötzlich auf ihrer hellen Haut. Sie blickte zu ihren Händen hinunter und schüttelte den Kopf.
»Was sind Ihre Aufgaben im Haus von Frau Winkler?«
»Ich führe den Haushalt.«
»Was bedeutet das genau?«
Frau Hirschbach musterte Liebler argwöhnisch. Sein Tonfall hatte sich verändert.
»Kochen, Putzen, Einkaufen, Wäsche«, erklärte sie nervös. »Alles, was anfällt in so einem Haushalt. Frau Winkler hat sich schließlich immer um die Firma kümmern müssen. Ihr Mann hatte ja den Arm im Krieg verloren.«
»Bei einem Bombenangriff«, korrigierte Liebler und fügte dann hinzu: »Das waren also schwere Zeiten.«
»Natürlich.«
»Wie waren Ihre Arbeitszeiten?«
»Seit dem Tode von Herrn Winkler bin ich jeden Tag neun Uhr dreißig am Morgen hingegangen und meistens so gegen halb acht nach Hause. Wenn Frau Winkler in den Salon ging.«
»Mit Salon meinen Sie das Wohnzimmer?«
»Ja.«
»Auch an dem Abend, als Henriette Winkler starb?«
Frau Hirschbach fiel es schwer zu antworten. Ihre Stimme klang heiser: »Ja.«
»Als Sie Henriette Winkler am nächsten Morgen gefunden haben, war es aber später als neun Uhr dreißig. Sie haben ausgesagt, dass Sie um halb elf dort waren.«
»Ja, ich habe erst eingekauft.«
Liebler wartete einen Moment, bevor er fortfuhr: »Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Frau Winkler beschreiben?«
Die Hände der alten Frau verknoteten sich ineinander. »Wie meinen Sie das?«
»Waren Sie einfach nur eine Angestellte?«
»Nein.« Frau Hirschbach war entsetzt. »Ich habe sechzig Jahre für die Familie gearbeitet. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich lange Zeit bei ihnen unter dem Dach gewohnt.«
»Dann gehörten Sie zur Familie?«
Wieder Entsetzen: »Nein!«
»Aber Sie waren miteinander vertraut?«
»Ja. Natürlich.«
»Wer hat sich um die persönlichen Unterlagen von Frau Winkler gekümmert?«
Plötzlich war eine Spannung im Raum zu spüren. »Was meinen Sie?«
»Fotos, Briefe, Tagebücher.« Liebler versuchte die Frage beiläufig zu formulieren, indem er sich gleichgültig im Raum umsah.
»Nein …«, Frau Hirschbach verschränkte die Hände ineinander, »das war nicht meine Aufgabe.«
Angst lag in ihrem Blick.
»Ich verstehe.« Liebler stand auf und trat an den Schrank, nahm das Foto in die Hand. »Das war nicht Ihre Aufgabe. Aber das eine oder andere Geheimnis Ihrer Chefin haben Sie doch wohl gekannt?«
Es dauerte einen Moment, bis die alte Frau antwortete, und dann klang es trotzig. »Nein.«
»Wir haben Sie gebeten nachzuschauen, ob etwas von den persönlichen Unterlagen von Frau Winkler fehlt. Sie haben meinem Kollegen, Herrn Fischer, gesagt, dass das nicht der Fall ist. Wie können Sie das wissen, wenn Sie nichts mit den Unterlagen zu tun hatten?«
Das Österreichische war verschwunden. Übrig geblieben war Preußen.
Frau Hirschbachs Hand zitterte, als sie nach der Teetasse griff. »Entschuldigen Sie bitte. Ich fühle mich nicht gut.«
»Möchten Sie ein Glas Wasser?« Myriam hatte Mitleid mit der alten Frau.
»Nein, ich … mir ist schwindelig.«
»Die Luft hier ist wirklich stickig.« Liebler kippte das Fenster.
»Sie haben also nicht feststellen können, dass etwas fehlt?« Myriam schob den Kater herunter und setzte sich neben Frau Hirschbach aufs Sofa. »Das ist völlig in Ordnung. Wir wollen ja nur der Familie helfen. Verstehen Sie? Damit Frederik so schnell wie möglich gefunden wird.« Der gottverhasste Kater strich wieder um ihre Beine. Ein ekelhaftes Gefühl. Wie wenn die Haut taub wird und pelzig.
Frau Hirschbach nickte: »Natürlich. Entschuldigen Sie.«
»Also, es fehlte nichts?«
»Nein.«
»Auch keine Fotos?«, fragte Myriam beiläufig.
»Fotos?« Irritiert sah Frau Hirschbach sie an. »Nein.«
»Briefe?«, fragte Liebler.
Die alte Frau schloss die Augen. »Nein.«
»Was ist mit Papieren? Familienstammbuch, Pass usw.«
»Ich weiß es nicht. Es war nicht meine
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