Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
Vom Netzwerk:
ein Schraubenzieher, ein Goldzahn und getrocknete Ahornblätter lagen.
    »Meine private Asservatenkammer, aber verrate es nicht weiter.«
    »Wie meinst du das?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß, dass es verboten ist, aber ich habe mir angewöhnt, von jedem Fall ein Beweisstück in meiner Nähe zu haben. Es ist wie ein Fetisch für mich. Ich kann besser nachdenken, wenn ich sie ansehe.«
    »Du kannst doch nicht einfach Beweisstücke mitnehmen. Oder du solltest es mir nicht erzählen.«
    »Du kannst mich anklagen, aber du wirst mir nichts nachweisen können«, sagte er und grinste. »Ich habe meine eigenen Methoden.«
    Ja, da war Myriam sich sicher.
    Er griff nach den Zigaretten. »Weißt du, wie ich dich mir gefügig gemacht habe?«
    »Gefügig? Du übertreibst.«
    »Ich habe kleine Nadeln in dein Foto gesteckt.«
    »Welches Foto?«
    »Das verrate ich nicht.«
    Myriam erinnerte sich dunkel an den Fotoapparat, den er auf der Weihnachtsfeier dabeigehabt hatte. Ihr wurde flau zumute. »Hör auf.«
    »Ich habe viel gelernt von den Typen, mit denen ich zu tun habe. Und du siehst ja, es hat funktioniert. Du liegst neben mir.« Zufrieden zündete er sich die Zigarette an, zog daran und blies den Rauch in die Luft.
    Myriam setzte sich auf. »Du willst also allen Ernstes behaupten, du hättest kleine Nadeln in ein Foto von mir gesteckt?«
    »Ja.«
    »Das glaube ich dir nicht.«
    »Doch!«
    »Wohin?«
    »Wie meinst du das?«
    »Wohin hast du die Nadeln gesteckt?«
    »Das ist zu intim.« Er grinste. »Und ich habe dazu eine rote Kerze angezündet.«
    Machte er einen seiner Scherze, oder meinte er es ernst?
    »Du hast was?«
    »Eine rote Kerze angezündet.«
    »Wozu?«
    »Das gehört eben dazu.« Er drückte die halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus, der auf dem Boden stand und beugte sich über sie. Sie mochte den Geruch nach Tabak.
    »Man sollte mit diesen Dingen«, murmelte Myriam, »keine Scherze treiben.«
    »So ernst war es mir noch nie.«
    Sein Körper ist nicht schön, dachte sie.
    »Du bist schön«, sagte er, zog sie zu sich heran und küsste sie.
    Aber ihr Körper passte hervorragend zu seinem. Das war das Fatale. Irgendeine Harmonie musste vorhanden sein.
    Außerdem war draußen die Kälte, und in seinem Bett war es warm. Sie fand nur diese Erklärung. Ziemlich dürftig. Geradezu erbärmlich.
    »Warum?«, fragte sie, als er sie endlich losließ. »Warum ausgerechnet ich? Und warum jetzt, wo eine Liste von Dingen vor uns liegt, die wir zu erledigen haben?«
    »Vielleicht gerade deshalb«, antwortete er. »Vielleicht weil ich es nicht alleine schaffe und du auch nicht.«
    »Bisher habe ich es auch ohne dich geschafft.«
    »Du irrst dich, du hast es überlebt, mehr nicht.«
    Ihr Blick fiel auf die Uhr. Sechs Uhr am Morgen. Sie sollte nach Hause gehen und sich umziehen. Die grünen Stiefel waren schon ein Risiko für das Gericht, aber ihr Westernoutfit wäre absolut indiskutabel. »Ich muss gehen«, sagte sie bestimmt. »Ich muss zu meinem Vater, denn heute kommt die polnische Pflegekraft.«
    Ihre Blicke trafen sich. Hoffentlich fiel ihm jetzt nicht ein, sie erneut zu berühren.
    »Wir sehen uns später«, sagte sie.
    In seinem Blick las sie den Zweifel, und der graue Fleck unten links war der Anfang einer Enttäuschung. Myriam zögerte. Wenn sie jetzt das Schlafzimmer verließ
    und diese Chance nicht nutzte, was war die Folge? Verurteilte sie sich damit selbst? Zu lebenslanger Enthaltsamkeit? In dreihundertfünfundsechzig Tagessätzen?

Zofia
Dienstag, 5. Mai 1942, Frankfurt
    Wie schnell man sich an ein fremdes Leben gewöhnt. Eben stand die Welt noch Kopf, und am nächsten Tag erledigt man seine Arbeit, isst sein Frühstück und kämmt sich die Haare, als wäre alles normal. Ein Tag gleicht dem anderen, und die Erinnerung wird einem gestohlen wie die Kleider, die ich anhatte, als ich ankam, und der Schlüssel, der noch in meiner Manteltasche steckte.
    Mein Leben vor dem Krieg kommt mir unwirklich vor. Wie echter Tee, ein Brötchen mit Butter oder ein gebratenes Hühnchen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal richtig satt war.
    Außer mir gibt es nur noch eine Köchin. Frau Wirth. Sie kommt jeden Tag gegen neun Uhr und geht um vier Uhr nachmittags wieder. Ihr ist es verboten, mit mir zu reden, und so spricht sie nur mit sich selbst. Während sie Töpfe schrubbt, murmelt sie vor sich hin:»Wo soll das alles enden?« Oder sie schimpft, dass es kein Mehl im Laden gibt, kein Fleisch, keine Eier und die

Weitere Kostenlose Bücher