Wintermörder - Roman
auch deswegen. Vielleicht sind die Kartoffelschalen giftig, die ich heimlich aus dem Müll hole und esse. Vielleicht haben sie kleine Löcher in meinen Magen gemacht, und das Essen verteilt sich jetzt in meinem Bauch. Das Gift macht die Organe kaputt, und deshalb blute ich.
Ich hebe den Rock hoch, den das Mädchen vor mir in der Dachkammer zurückgelassen hat. Mein Bauch ist angeschwollen wie der von der Frau. Nur dass sie ein Kind bekommt und ich vielleicht die Ruhr.
Als ich am Abend in den Keller gehe, um die Kohle für den nächsten Morgen zu holen, sitzt Magda auf der Treppe und raucht. Sie arbeitet nicht weit von hier bei einer Familie, bekommt Geld für ihre Arbeit, geht manchmal ins Kino und spricht dauernd von der Liebe.
»Ich nehme es, wie es kommt«, sagt sie und bietet mir eine Zigarette an.
Ich schüttele den Kopf und denke an meine Mutter. Sie rauchte so viel, dass sich ihre Lunge wie ein Dudelsack anhörte.
Mein Vater sagte immer zu ihr: »Ich weiß, wie ein Dudelsack klingt, denn ich habe schon einmal hineingeblasen, als ich 1929 in Aberdeen bei einem Kongress war.«
Dann machte er das Geräusch nach. Marschierte durch das Zimmer. Leszek hinterher.
Er konnte meine Mutter damit zum Lachen bringen, auch wenn ihr Lachen immer mehr ein Pfeifen wurde, weil sie keine Luft mehr bekam.
»Ja, ja, ja«, rief mein Vater dann, »genau so hat er gequietscht, der Dudelsack.«
Als ich Magda diese Geschichte erzähle, lacht sie, aber richtig ohne Pfeifen, und sagt, dass sie nicht auf Lunge raucht, sondern nur so. Sie klaut jeden Tag eine Zigarette von ihrem »Pan«, wie sie ihn nennt, der so vergesslich ist, dass er manchmal sogar vergisst, dass er raucht. Er arbeitet an der Universität und ist schon alt.
»Ich blute aus dem Bauch«, sage ich plötzlich.
Sie fängt an zu lachen:» Weißt du nicht, warum das so ist?«
Als ich anfange zu weinen, legt sie den Arm um mich und erklärt mir alles.
»Hat dir das noch nie jemand gesagt?«, fragt sie.
»Doch, aber ich habe es einfach vergessen.«
Drei Tage
21
Auch wenn Ramona Neuberger ihm am Abend zuvor ein eindeutiges Angebot gemacht hatte, indem sie im Taxi die Brust an ihn presste, bereute Udo Jost nicht, dass er am Donnerstagmorgen alleine in seinem Bett erwachte.
In wenigen Monaten wurde er fünfzig. War es das? Nein, vielmehr strahlte Ramona Neuberger etwas aus, das ihm plötzlich unangenehm war, ganz davon abgesehen, dass ihre Titten sich angefühlt hatten wie Massagebälle für Rheumakranke.
Und er würde auch nicht einen Moment darüber nachdenken, wenn es nicht schon Monate her wäre, dass er ….
Warum hatte er nicht zugegriffen?
Die Wahrheit war, er hatte die Frauen satt.
Ihre Schönheit.
Ihre Verführungskünste.
Früher, ja, da war er ständig auf der Suche nach Frauen gewesen wie nach guten Storys. Jetzt war er es leid, einem Phantom nachzujagen.
Jost schlief stets nackt, weil es ihm einen letzten Rest von Erotik vermittelte. Er empfand sich dann als männlich. Vielleicht war er nicht mehr schlank. Okay, mit Sicherheit war er nicht mehr schlank, doch nackt empfand er das nicht als störend. Dann lebte er mit seinem Körper im Einklang. Es war das Menschliche an seinem Körper, das ihn beruhigte.
Wenn er draußen das Spiel spielte, spürte er sich nicht mehr. Er war dann nur die Resthülle nach einer Verpuppung. Dennoch spielte er mit. Alle hatten sich darauf geeinigt. Bis zum bitteren Ende.
Jost gingen solche Gedanken in letzter Zeit häufig durch den Kopf. Vornehmlich nach Nächten, in denen er zu wenig getrunken hatte.
Wie gestern.
Der Blick in Ramona Neubergers Augen, deren Pupillen im Alkohol schwammen. Ihre nassen Lippen flüsterten nahe an seinem Mund, sodass die Feuchtigkeit ihrer Lippen in seine Ohröffnung tröpfelte.
Widerlich. Die Neuberger hatte vor Erotik getrieft, als läge sie eingelegt in einem öligen Sud.
Ekelhaft.
Ekelhaft auch der Qualm.
Sogar der Alkohol war ihm plötzlich zuwider.
Und dann hatte er die Singer gesehen.
Mit diesem Kommissar.
Geküsst hatten sie sich. Er hätte kotzen können. Die Neuberger hatte er weggestoßen, sodass sie fast vom Barhocker gerutscht wäre.
Die Staatsanwältin und der Kommissar. Auch wenn der Kommissar offensichtlich abgenommen hatte, hatte er noch immer keinen Waschbrettbauch. Seine Finger waren fleischig wie seine. Er hatte sich über die Singer gebeugt, sie verdeckt, ach was, fast verschluckt hatte er sie. Und die eiserne Lady? Sie hatte jegliche Bereitschaft
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