Wintermörder - Roman
verliehen, wenn sie schon in ihrem Liebesleben strauchelte.
»Wart auf mich.«
Henris Arm schob sich unter den von Myriam.
»Was, verdammt noch mal, willst du eigentlich von mir?«
War sie heute Morgen tatsächlich neben diesem Mann mit dem Pinguingang aufgewacht? Der alles ins Lächerliche zog.Über alles und jeden Ironie goss. Ach was, er betrachtete das Leben vermutlich wie eine riesige Portion Pommes mit Ketchup. Ein Schiffbrüchiger in Sachen Beziehung, der nie ohne Gummistiefel unterwegs war. Schuhe lügen nicht.
War sie total verrückt geworden?
Es war der Beruf, der sie von dem im Leben entfernte, was entscheidend war. Es war zum zweiten Mal, dass ihr diese Erkenntnis kam. Beim dritten Mal würde wieder der Hahn krähen oder nicht. Dann würde sie endgültig wissen, ob sie sich etwas vormachte.
Allmählich entspannte sich Myriam. Ihr Schritt wurde langsamer.
»Es gibt noch mehr Neuigkeiten«, sagte er in ihr Schweigen hinein. »Dr. Westhof vom Institut für Stadtgeschichte hat sich gemeldet.«
»Und?«
»Ich weiß jetzt mehr über Oskar Winkler.«
»Das heißt?«
»Geboren 1910 in Frankfurt, Studium 1929 bis 1931 in Darmstadt, 1932 Wechsel nach Berlin. Dort studierte er bei Tessenow, wie — und jetzt pass auf — Albert Speer.«
»Eine Kaderschmiede?«, fragte Myriam alarmiert.
»Er ist erst mit seiner Heirat 1936 in das Familienunternehmen eingestiegen. Ende 1934 bis Anfang 1936 arbeitete er in der Bauabteilung der Adlerwerke hier in Frankfurt.«
»Hat er sich mit seinem Vater nicht verstanden?«
»Laut Carl Winkler war das damals so üblich, dass man einige Zeit außerhalb des Familienunternehmens Erfahrungen sammelte.«
»Die Adlerwerke hatten das größte Lager in Frankfurt.«
»Genau. Übrigens brachte Henriette Winkler ein beträchtliches Vermögen mit in die Ehe. So konnte er in das Unternehmen investieren. Aufträge gab es ab 1939 genug. Da war zum Beispiel der Bau des Führerhauptquartiers Adlerhorst in Bad Nauheim, eine riesige Baustelle. Ab 1943 Bunker, Befestigungsanlagen, Rüstungsbetriebe, Kraftwerke, Verbindungswege und Versorgungseinrichtungen in unterirdischen Höhlen- und Stollenanlagen.«
»Alles für den Krieg«, fasste Myriam zusammen.
»Natürlich. So ein Krieg, der will schließlich gut organisiert sein.«
»Warum verschweigt Carl das?«
»Vielleicht weiß er wirklich nichts darüber?«
»So etwas weiß man doch!«
»Wer fragt heute noch danach, wer das Rollfeld auf dem Flughafen planiert oder die Baugrube für den Bunker ausgehoben hat. Außerdem wurden lautDr. Westhof Großbaustellen oft unter Decknamen abgewickelt. Die Firma Winklerbau war seiner Meinung nach eine Art Subunternehmer für die ganz großen wie Holzmann.«
»Was ist mit dieser Sophia?«
»Westhof konnte den Namen nirgends finden. Aber er hat die Namen von drei anderen polnischen Frauen, die als Hausmädchen in demselben Viertel gearbeitet haben, in dem die Winklers wohnen. Zwei von ihnen sind aus Krakau.«
»Wieder Krakau. Ich glaube, dass Denise dort hingefahren ist.«
»Auf eigene Faust? Sie schien mir nicht in dem Zustand zu sein, dass sie das schafft.«
»Du kennst sie nicht. Denise bleibt lange ruhig, geradezu passiv, aber wenn sie sich zu einer Entscheidung durchgerungen hat, zieht sie es durch. Mein Gott, ich habe tatsächlich vergessen, wie kompromisslos sie sein kann.«
Myriam hatte es nicht vergessen, sie hatte es verdrängt. Sie blieb abrupt stehen. »Wir können sie doch nicht alleine lassen.«
»Dazu müssten wir erst wissen, ob sie tatsächlich nach Krakau geflogen ist.«
»Aber das Risiko, das sie in Kauf nimmt! Angenommen, der Entführer meldet sich, und sie ist nicht zu Hause.«
»Sie hat ihre eigene Lösung gefunden.« Henri zog das Handy hervor und wählte eine Nummer, dann reichte er Myriam das Telefon.
Nach zweimaligem Läuten hörte sie die Mailbox und Denise’ Stimme: »Rufumleitung Denise Winkler. Bitte melden Sie sich. Ich bin ab sofort nur noch für Sie zu sprechen und mache alles, was Sie wollen. Nennen Sie mir Ihre Bedingungen.«
»Sie hat sich alles gut überlegt«, stellte Myriam fest und drehte sich Richtung Friedhof. Henri folgte ihr. Bisher hatte sich Myriam immer Hals über Kopf in eine Beziehung gestürzt. Bereit, alles zu geben. Von Anfang an. Unsterblich verliebt zu sein, war die einzige Emotion, der sie sich hem
mungslos hingab.
Weil es die einzige ist, die sich lohnt
.
Nein, sie war nicht verliebt, aber er hatte etwas an sich, das ihr
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