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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Sie einfach so akzeptiert?«
    »Sie kannten meine Mutter nicht. Gegen ihren Willen geschah nichts. Jeder hat ihn respektiert, ihren Willen. Mich fand sie immer zu sensibel.«
    »Und Ihr Vater?«
    »Mein Vater? Er war jemand, der repräsentieren konnte, aber niemand, der hart arbeitete. Nach der Amputation konnte er nicht mehr zeichnen. Deshalb konzentrierte sich die Firma auch stärker auf den Baubereich. Das war die Idee meiner Mutter. »
    »Haben Sie je den Namen Sophia Fuchs gehört?«
    »Nein.«
    »Es war auch nie die Rede von einem Kind?«
    »Nein, welches Kind?«
    »Ihre Mutter hat Conradi beauftragt, nach einem Kind, oder besser gesagt, nach der Mutter zu forschen.«
    »Wovon sprechen Sie?«
    »Das wollte ich eigentlich von Ihnen hören.«
    Er wischte wieder mit der Hand über die Augen.
    »Ich weiß nichts. Meine Mutter war ein Mensch mit Geheimnissen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie konnte nicht ertragen, wenn ich ihre Post durchsah, in ihr Büro kam, den Safe benutzte oder auf dem Dachboden spielte. ›Was schnüffelst du hier herum<, sagte sie immer. Es gab viele Orte und Dinge, die tabu waren.«
    »Das hat Sie verunsichert?«, fragte Hannah Roosen behutsam.
    Plötzlich brach es aus ihm heraus: »Immer, wenn ich Fragen stellte, lenkte sie ab. Schon als Kind habe ich das gelernt. Es gehört sich nicht, Fragen zu stellen.«
    »Der Pakt des Schweigens«, sagte Hannah.
    »Was?« Carl Winkler sah irritiert in ihre Richtung.
    »Pact of Silence. Die Eltern sprechen nicht über die Vergangenheit. Die Kinder spüren das. Ein Verhalten, das nicht nur auf die Opfer zutrifft, sondern auch auf die Kinder von Tätern.«
    »Täter? Meine Eltern waren keine Täter.«
    »Immerhin sind Ihre Eltern schon sehr früh in die Partei eingetreten.«
    »Ja, Sie sagten schon, dass sie Parteimitglieder waren, aber war das nicht jeder, der überleben wollte?«
    »Nein, und das wissen Sie auch. Welche Fragen haben Sie Ihren Eltern gestellt?«
    »Was ein Kind wissen will. Wie sie sich kennen gelernt haben. Wann sie geheiratet haben.«
    Er brach plötzlich ab. Kämpfte mit sich.
    »Ihre Mutter ist tot«, sagte Hannah Roosen. »Sie brauchen keine Angst mehr vor ihr zu haben.«
    »Ich hatte keine Angst vor ihr, ich habe sie geliebt«, antwortete Carl Winkler fast trotzig.»Sie war meine Mutter.«
    Hannah nickte: »Natürlich.«
    »Hat Ihre Mutter je mit Ihnen über Ihre Geburt gesprochen?«, fragte Myriam.
    »Natürlich.« Er blickte verwundert auf. »Die Umstände waren sehr dramatisch. Als die Bombenangriffe schlimmer wurden, wurde die Zivilbevölkerung Frankfurts aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Meine Mutter war ganz alleine. Ich kam irgendwo auf der Straße zur Welt.«
    »Gibt es dafür Zeugen?«
    »Wieso fragen Sie? Natürlich gibt es Zeugen. Sie war ja nicht die Einzige, die die Stadt verließ. Eine Krankenschwester hat ihr geholfen.«

24
    Das Vibrieren des Handys begann mit einem kaum fühlbaren Zittern, einer Erschütterung, die Udo Jost stärker ahnte als tatsächlich spürte. Wieder war die Nummer eine andere.
    »Ich habe das Bild in der Zeitung vermisst«, sagte der Mann. »Sie haben Ihren Auftrag nicht erfüllt.«
    »Ich möchte erst ein Lebenszeichen des Jungen, einen Beweis, dass er am Leben ist. Denken Sie an die Mutter.«
    Macht man das nicht genau so? Kontakt halten, indem man spricht und die Kommunikation nicht abreißen lässt?
    »Ich denke an sie. Mit aller Kraft.« Da war Spott in der Stimme des Anrufers. Kein Spott, der lächerlich machen wollte, sondern ein Hohn, eine Schadenfreude, die Jost den Atem stocken ließ.
    »Ich lasse mich nicht von Ihnen benutzen.« Jost versuchte Bestimmtheit in seine Stimme zu legen, doch er klang lediglich trotzig. Zumindest begann der Mann zu lachen. Er machte sich über Jost lustig. Jost war in seinen Augen das, was dieser auf keinen Fall sein wollte. Ein Hampelmann. Hampelmann seiner geschiedenen Frau und Marionette seines Chefredakteurs.
    Die Wut war wie immer ein künstliches Feuer, das nur brannte, aber nicht wärmte.
    »Ich bin nicht Ihr Handlanger. Ich wiederhole mein Angebot zum letzten Mal: fünfzigtausend Euro für ein Lebenszeichen. Dann erzähle ich Ihre Geschichte. Mit Fotos und allem. Exklusiv.«
    Lautes Atmen am anderen Ende, anschließend Stille. Dann hörte er zum ersten Mal ein Geräusch im Hintergrund. Ein lautes Rattern.
    »Hören Sie mich?«, rief Jost. Er sollte nicht auflegen.
    Das Geräusch hörte sich an wie eine Bahn. Nicht gerade ein ICE, eher eine

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