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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Regionalbahn. Nein. Wie auf einem Jahrmarkt.
    »Ich bin noch da.« Jetzt war die Stimme des Mannes wieder deutlich zu verstehen.
    »Fünfzigtausend Euro sind eine Menge Geld. Wie viele Jahre müssen Sie dafür arbeiten?« Josts Herz schlug laut. »Ich hole jetzt das Geld. Dann fahre ich in den Sender und bereite den Bericht vor. Er kann noch heute Abend erscheinen. Im Gegenzug nennen Sie mir den Ort, wo ich das Geld hinterlegen soll.«
    »Herzlichen Glückwunsch. Sie gehen über die Grenze.« Einen Moment Stille, dann: »Haben Sie das Foto … wie heißt das auf Deutsch … unterschlagen? Einen Beweis unterschlagen?«
    »Das lassen Sie meine Sorge sein.«
    »Ich sorge mich nicht um Sie. Ich warne Sie.«
    »Rufen Sie mich wieder an«, rief Jost. »Ich bringe Ihnen das Geld nach Krakau. Sie sind doch in Krakau, oder? Ist Frederik in Polen?«
    Der Mann legte auf.
    Hatte Jost es geschafft, ihn zu überzeugen?
    Sein Angebot war fair. Er hatte Recht, dem Entführer nicht nachzugeben, nicht nach dessen Pfeife zu tanzen. Die Polizei würde den Schwanz einziehen und zu Kreuze kriechen. Wie die Regierung immer nachgab, wenn Deutsche im Ausland entführt wurden, und Millionen von Lösegeld an verbrecherische Organisationen flossen. Für ein einziges Menschenleben. Jost pokerte hoch. Die Macht lag auf seinem Schreibtisch, es war die Chance seines Lebens. Ein Fall wie seinerzeit der Politiker in der Badewanne. Niemand konnte damals dem Reporter nachweisen, was er gewusst hatte.
    Er erhob sich und ging in Toblers Büro. Er trat ein, ohne anzuklopfen. Dass er ein Sieger war, erkannte er daran, dass Tobler ihn dennoch willkommen hieß, ihm sogar einen Kaffee anbot. Er erzählte, er habe gerade auf seinem Schreibtisch eine neue Botschaft des Entführers vorgefunden. Er zeigte das Foto, das Tobler jedoch nicht so stark interessierte, wie Jost gehofft hatte.
    »Das wissen wir doch schon. Dieser Winkler war ein Kriegsgewinnler, hat mit den Wölfen geheult. Na und? Das Kind ist noch verschwunden. Es gibt kein Lebenszeichen. Vermutlich ist es tot. Das heißt, kein Lösegeld. Keine exorbitanten Summen, die Schlagzeilen machen. Irgendwann wird das Kind gefunden, und wenn es nicht auf spektakuläre Art und Weise getötet wurde, ist es nicht mehr als eine Meldung Rang fünf. Gleich nach den Börsennachrichten, kurz vor dem Wetter.«
    Doch Jost hatte noch einen Trumpf: »Es gibt noch jemanden, der vermisst wird.«
    Tobler ließ sich in seinen Chefsessel zurückfallen, der sich verbog, wie seine Mitarbeiter, wie alle in der Redaktion sich nach Toblers Gesetzen und Regeln verbogen.
    Purer Neid erfasste Jost.
    Es musste ein Gefühl mit hundertprozentigem Adrenalingehalt sein, wenn man Menschen nach seinem Geschmack umformen konnte, und die Welt auch.
    »Sie meinen, sie ist ebenfalls entführt worden?«, fragte Tobler alarmiert.
    »Wie es aussieht, ist sie auf eigene Faust nach Krakau gefahren, um dort nach ihrem Sohn zu suchen.«
    Tobler überlegte einige Minuten. Auf seinem Schreibtisch schwebte ein magnetischer Kugelschreiber. Er nahm ihn kurz in die Hand und ließ ihn los. Wieder schwebte er in der Luft.
    »Hätte ich Ihnen nicht zugetraut, Jost. Ihr Gespür. Eine Mutter, die sich auf den Weg macht, ihren Sohn zurückzuholen. Schade, dass Weihnachten vorbei ist. Da gab es doch einmal diesen Fall, als die Mutter den Mörder ihrer Tochter im Gerichtssaal erschoss. Das sollten wir wieder rauskramen. Forcieren Sie das Thema! Im großen Stil. Das ist Ihre Chance. Herzlichen Glückwunsch! Fliegen Sie sofort nach Krakau. Suchen Sie nach Frau Winkler. Dort ist es jetzt kalt. Eine verschneite Stadt im Osten. Das Drama einer Familie. Das hat etwas. Das hat Athmosphäre und passt zum Wetterbericht.«
    Jost atmete erleichtert auf. Alles lief nach Plan. Er erhob sich. Den Schweißausbruch der letzten Minuten wischte er mit dem Taschentuch von der Stirn. Dann verließ er Tobler und eilte den Flur entlang in sein Büro.
    Nach dem Whisky schickte er dem letzten Anrufer eine SMS:»Denise Winkler auf dem Weg nach Krakau.«
    Nur vierzig Minuten später verließ Udo Jost die Filiale der Deutschen Bank mit fünfzigtausend Euro in der Tasche, was ihn in eine Art Hochstimmung versetzte, denn es war ein verdammt gutes Gefühl, das eigene Konto leer zu räumen. Das Geld war der Zugewinnausgleich aus seiner Scheidung. Einer glücklichen Scheidung, die zu seinen Gunsten ausgegangen war, da kein Ehevertrag existiert hatte. Stattdessen Liebesschwüre bis in den Tod. Bis

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