Wintermond
schien glücklicher zu sein als je zuvor, seit sie auf die Ranch gekommen waren. »Wir machen uns erste Freunde.«
»Scheint so«, sagte er.
Als er Sellerie, Tomaten und einen Kopfsalat aus dem Kühlschrank holte, stellte er erleichtert fest, daß keins der Küchenfenster einen Blick auf den Friedhof bot. Das gedämpfte Zwielicht neigte sich der Dunkelheit zu, als Toby mit dem bellenden Hund auf den Fersen in die Küche stürmte und atemlos »Schnee!« rief. Heather sah von dem Topf mit dem sprudelnden Wasser und den garenden Spaghetti auf, drehte sich zum Fenster über dem Abfluß um und sah, wie im Halbdunkel die ersten Flocken fielen. Sie waren groß und flaumig. Der Wind hatte kurz nachgelassen, und die gewaltigen Schneeflocken senkten sich in gemächlichen Spiralen. Toby lief zum anderen Fenster. Der Hund folgte ihm, richtete sich neben ihm auf, legte die Pfoten auf die Fensterbank und beobachtete die wundersame Verwandlung draußen. Jack legte das Messer weg, mit dem er Tomaten schnitt, und trat ebenfalls ans Fenster. Er blieb hinter Toby stehen und legte dem Jungen die Hände auf die Schultern. »Dein erster Schnee.«
»Aber nicht mein letzter!« rief Toby begeistert.
Heather rührte die Soße in dem kleineren Topf um, damit sie nicht anbrannte, und gesellte sich dann zu ihrer Familie ans Fenster. Sie legte den rechten Arm um Jack und kraulte mit der linken Hand beiläufig Falstaffs Kopf. Zum erstenmal seit längerer Zeit kam sie sich völlig sicher vor. Sie hatten keine finanziellen Sorgen mehr, hatten sich in kaum einer Woche in ihrem neuen Haus eingelebt, Jack hatte sich vollständig erholt, und die Gefahren der städtischen Schulen und Straßen stellten für Toby keine Bedrohung mehr dar.
Endlich konnte Heather Los Angeles mit allen seinen Schattenseiten hinter sich lassen. Sie hatten einen Hund. Sie schlossen neue Freundschaften. Und Heather war zuversichtlich, daß die eigentümlichen Anfälle von Nervosität, die ihr seit der Ankunft auf der Quartermass-Ranch zu schaffen machten, nicht wiederkehren würden. Sie hatte so lange voller Angst in der Stadt gelebt, daß diese Furcht fast schon zur Sucht geworden war. Im ländlichen Montana mußte sie sich keine Sorgen mehr machen über Schießereien zwischen verfeindeten Bandenmitgliedern, über Gangster, die einem einfach finit vorgehaltener Waffe das Auto stahlen, über Raubüberfälle, bei denen die Täter ihre Opfer immer häufiger geradezu beiläufig umbrachten, über Drogenhändler, die an jeder Ecke Crack verkauften, über Einbrüche oder über Kinderschänder, die von den Autobahnen abfuhren, durch Wohnviertel streiften und nach Opfern suchten, mit denen sie dann wieder in der anonymen Großstadt verschwanden. So hatte ihre Gewohnheit, sich immer vor irgend etwas zu fürchten, zu der allgemeinen Unruhe und den eingebildeten Feinden geführt, die ihre ersten Tage in dieser friedlicheren Gegend bestimmt hatten. Das war jetzt vorbei. Das Kapitel war abgeschlossen. Schwere, nasse Schneeflokken fielen nieder, ganze Armeen von ihnen bedeckten schnell den dunklen Boden, und gelegentlich verirrte sich eine auf die Glasscheibe und schmolz. In der Küche war es behaglich warm, und es roch nach Nudeln und Tomatensoße. Nichts war so geeignet, Gefühle der Zufriedenheit und des Glücks hervorzurufen, als in einem gut geheizten und behaglichen Zimmer zu sitzen, während die Welt hinter den Fenstern sich im frostigen Griff des Winters befand. »Wunderschön«, sagte sie. Der losbrechende Sturm verzauberte Heather geradezu.
»Mann«, sagte Toby. »Schnee. Das ist wirklich Schnee.«
Sie waren eine Familie. Frau, Mann, Kind und Hund. Zusammen und in Sicherheit. Von nun an würde sie nur noch wie eine McGarvey und nie mehr wie eine Beckerman denken. Sie würde immer das Positive sehen und den Pessimismus vermeiden, der sowohl ein Erbe ihrer Familie als auch ein giftiger Rückstand des Lebens in der Großstadt war. Sie fühlte sich endlich frei. Das Leben war schön. Nach dem Essen ließ Heather Wasser in die Badewanne einlaufen, um sich bei einem heißen Bad zu entspannen, während Toby sich mit Falstaff im Wohnzimmer niederließ, um sich Ein Hund namens Beethoven auf Video anzusehen. Jack ging direkt ins Arbeitszimmer und begutachtete die Waffen, die ihnen zur Verfügung standen. Abgesehen von denen, die sie aus Los Angeles mitgebracht hatten - eine Sammlung, die Heather nach der Schießerei auf der Tankstelle der Arkadians beträchtlich vergrößert hatte -,
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