Wintermond
der Rinde zu haben schien, innerhalb der Zweige, als hätten die Baumwurzeln Wasser aus einer unterirdischen Quelle aufgesaugt, die von einem höheren Prozentsatz von Radium kontaminiert worden war als die Farbe, mit der man früher einmal, bevor man es besser wußte, die Zifferblätter von Uhren beschichtet hatte, die einem auch in der Dunkelheit verrieten, wie spät es war. Vielleicht zehn bis zwanzig eng beieinander stehende Kiefern waren davon befallen gewesen. Wie ein leuchtender Schrein in der ansonsten pechschwarzen Festigkeit des Holzes. Zweifellos war diese geheimnisvolle Lichtquelle auch die Herkunft der Geräusche. Als das Licht zu verbleichen begann, wurden auch die Töne schwächer. Leiser und matter, leiser und matter. Die Märznacht war im selben Augenblick wieder still und dunkel geworden, und es gab nur noch die Geräusche seines eigenen Atems und keine seltsamere Helligkeit mehr als die silberne Sichel eines zunehmenden Viertelmonds und das perlenartige Phosphoreszieren der schneebedeckten Felder. Das Ereignis hatte etwa sieben Minuten lang gedauert. Es war ihm viel länger vorgekommen. Er kehrte ins Haus zurück, trat an die Fenster und wartete ab, was nun geschehen würde.
Erst als er den Eindruck gewonnen hatte, daß es vorbei war, kehrte er ins Bett zurück. Er hatte nicht mehr einschlafen können. Er hatte wachgelegen und...sich den Kopf zerbrochen. Jeden Morgen saß er um halb sieben beim Frühstück. Sein großes Kurzwellenradio hatte er auf einen Sender in Chicago eingestellt, der rund um die Uhr internationale Nachrichten brachte. Das eigentümliche Erlebnis während der vergangenen Nacht hatte den Rhythmus seines Lebens nicht so sehr gestört, daß er jetzt seine Gewohnheiten änderte. An diesem Morgen hatte er den gesamten Inhalt einer großen Dose mit Grapefruitstücken gegessen, danach zwei Spiegeleier, Bratkartoffeln, ein Viertelpfund Frühstücksspeck und vier Scheiben Toastbrot mit Butter. Er hatte mit dem Alter seinen herzhaften Appetit nicht verloren, und eine lebenslange Vorliebe für jene Nahrungsmittel, die dem Herzen am meisten zu schaffen machten, hatte ihm nur die Konstitution eines zwanzig Jahre jüngeren Mannes eingebracht. Wenn er mit dem Frühstück fertig war, blieb er gern bei ein paar Tassen schwarzen Kaffees sitzen und lauschte den endlosen Problemen der Welt. Die Nachrichten bestätigten jedesmal die Weisheit der Entscheidung, an einen entlegenen Ort zu ziehen, an dem er keine Nachbarn in Sichtweite hatte. Doch obwohl er an diesem Morgen länger als üblich bei dem Kaffee sitzen geblieben war und er das Radio eingeschaltet hatte, konnte er sich später, als er den Stuhl zurückschob und sich vom Tisch erhob, an kein Wort der Nachrichten erinnern. Lange Zeit hatte er durch das Fenster neben dem Tisch den Wald betrachtet und darüber nachgedacht, ob er nun auf die Wiese gehen und nach einem Beweis für die rätselhafte Heimsuchung suchen sollte. Als er nun in kniehohen Stiefeln, Jeans, einem Pulli, einer Jacke mit Schaffellfutter und einer Mütze mit pelzbesetzten und unter dem Kinn zusammengebundenen Ohrenschützern auf der Veranda stand, wußte er noch immer nicht, was er tun sollte. Unglaublicherweise war die Furcht noch immer in ihm. So bizarr sie auch gewesen sein mochten, hatten die pulsierende Tonwelle und das Leuchten in den Bäumen ihm keinen Schaden zugefügt. Welche Drohung auch immer er wahrnahm, sie war völlig subjektiv und zweifellos eher eingebildet als real. Schließlich wurde er so wütend auf sich, daß er die Ketten der Angst brechen konnte. Er stieg die Verandatreppe hinab und schritt über den Hof. Der Übergang vom Hof zur Wiese war von einem Schneemantel verborgen, der an einigen Stellen fünfzehn bis zwanzig Zentimeter und an anderen nur knietief war, je nachdem, wo der Wind ihn fortgeweht oder aufgetragen hatte. Nach dreißig Jahren auf der Ranch kannte Eduardo die Konturen des Landes und das Verhalten des Windes so gut, daß er, ohne nachzudenken, den Weg des geringsten Widerstandes wählte. Weiße Atemwolken kondensierten vor seinem Mund. Die bittere Kälte brachte eine angenehme Röte auf seine Wangen. Er beruhigte sich, indem er sich auf die vertrauten Auswirkungen eines Wintertages konzentrierte - und sie genoß. Er blieb eine Weile am Rand der Wiese stehen und betrachtete genau jene Bäume, die in der letzten Nacht in einer rauchigen Bernsteintönung vor dem schwarzen Hintergrund des tieferen Teils des Waldes geglüht hatten, als wären
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