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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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sie von einer göttlichen Gegenwart durchdrungen, wie Gott in dem Busch, der brannte, ohne von den Flammen verzehrt zu werden. Jetzt, am Morgen, sahen sie nicht anders aus als die Unzahl der anderen grünen Zucker- und Goldkiefern. Die Kiefern am Rand des Waldes waren jünger als die, die sich hinter ihnen erhoben, und nur etwa neun bis zehn Meter hoch und nicht älter als zwanzig Jahre. Sie waren aus Keimen gewachsen, die auf die Erde gefallen waren, als er schon ein Jahrzehnt auf der Ranch gelebt hatte, und er hatte den Eindruck, sie besser zu kennen als die meisten Menschen, die er in seinem Leben je gekannt hatte. Der Wald war ihm immer wie eine Kathedrale vorgekommen. Die Stämme der großen Nadelbäume erinnerten ihn an die Granitsäulen eines Kirchenschiffs, die sich hoch erhoben und ein gewölbtes Dach aus grünen Ästen trugen. Die nach Kiefern duftende Ruhe lud zum Meditieren ein. Wenn er die verschlungenen Pfade des Rotwilds entlangwanderte, hatte er oft das Gefühl, an einem heiligen Ort zu weilen und nicht nur ein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein, sondern ein Erbe der Ewigkeit. Er hatte sich im Wald immer sicher gefühlt. Bis heute. Als er von der Wiese und über das zufällige Muster von Schatten und Sonnenlicht unter den ineinander verflochtenen Kiefernzweigen trat, fiel ihm nichts Außergewöhnliches auf. Weder die Baumstämme noch die Äste zeigten irgendeinen Schaden aufgrund einer Hitzeeinwirkung; sie waren weder verkohlt, noch wiesen sie auch nur eine einzige versengte Rindenstelle oder Nadelballung auf. Die dünne Schneeschicht unter den Bäumen war nirgendwo geschmolzen, und die einzigen Spuren waren die des Rotwilds, von Waschbären und kleineren Tieren. Er brach ein Stück Rinde von einer Zuckerkiefer ab und zerbröckelte es zwischen Daumen und Zeigefinger der behandschuhten rechten Hand. Er konnte nichts Ungewöhnliches feststellen. Er drang tiefer in den Wald ein und ging an der Stelle vorbei, die in der Nacht in diesem seltsamen Glanz gestrahlt hatte. Einige der älteren Kiefern waren über sechzig Meter hoch. Die Schatten waren hier, wo die Sonne weniger Möglichkeiten fand, zwischen die Bäume zu dringen, zahlreicher und schwärzer als Eschenknospen im Februar oder März. Sein Herz schlug heftig und schnell. Er fand nichts, was nicht schon immer im Wald gewesen war, und trotzdem wollte sein Herzschlag sich nicht beruhigen. Sein Mund war trocken. Die gesamte Krümmung seiner Wirbelsäule entlang spürte er eine Gänsehaut, die nichts mit der winterkalten Luft zu tun hatte. Verärgert über sich selbst, wandte Eduardo sich zur Wiese zurück und folgte den Spuren, die er im Schnee und auf dem dicken Teppich der Kiefernadeln hinterlassen hatte. Das Knirschen seiner Schritte schreckte eine schlafende Eule auf ihrem verborgenen Ast hoch oben in der Baumkrone auf. Er spürte, daß mit dem Wald etwas nicht stimmte, konnte dieses Gefühl jedoch nicht genauer deuten, was seine Verärgerung nur noch steigerte. Etwas stimmte nicht. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Die schreiende Eule. Stachlige, schwarze Kiefernzapfen auf weißem Schnee. Bleiche Sonnenstrahlen, die durch die Lücken zwischen den graugrünen Ästen fielen. Alles ganz normal. Friedlich. Und doch stimmte etwas nicht. Als er zum Waldrand zurückkehrte und zwischen den Stämmen der vor ihm emporragenden Bäume die schneebedeckten Wiesen sichtbar wurden, war er plötzlich davon überzeugt, daß er die freie Fläche nicht mehr erreichen, daß ihn etwas von hinten anfallen würde, ein Geschöpf, das genauso undefinierbar war wie das Gefühl, daß etwas nicht in Ordnung war. Er bewegte sich schneller. Die Angst wurde mit jedem Schritt stärker. Die Schreie der Eule schienen zu einem Kreischen zu verbittern, das genauso fremd war wie das einer Rachegestalt in einem Alptraum. Er stolperte über eine freiliegende Wurzel, sein Herz setzte einen Schlag aus, und er wirbelte herum, mit einem Schrei auf den Lippen, mit dem er den Dämon welcher auch immer ihn hier verfolgte - entgegentreten wollte. Er war natürlich allein. Schatten und Sonnenlicht. Der Schrei einer Eule. Ein leises und einsames Geräusch. Wie immer. Er verfluchte sich und ging zur Wiese weiter. Erreichte sie. Die Bäume lagen hinter ihm. Er war in Sicherheit. Dann, lieber Gott im Himmel, erneut die Furcht, schlimmer denn je, die absolute Gewißheit, daß es - was? - kam, daß es ihn ganz bestimmt erwischen und zu Boden reißen würde, daß es entschlossen war, eine Tat zu

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