Wintermond
zur Hintertür, schloß sie auf und öffnete sie. Der Waschbär lief zu einer anderen Stelle, von der er ihn weiterhin beobachten konnte. Eduardo stieß das Fliegengitter auf, das ähnlich ächzte wie das vor der Haustür. Er trat auf die Veranda, zögerte und ging dann die drei Stufen zum Hof hinab. Die dunklen Augen des Tieres funkelten. Als Eduardo die halbe Strecke zwischen ihnen zurückgelegt hatte, ließ der Waschbär sich auf alle viere fallen, drehte sich um und huschte sechs Meter höher den Hang hinauf. Dort blieb das Tier stehen, drehte sich wieder um, richtete sich auf den Hinterläufen auf und beobachtete ihn wie zuvor. Bislang hatte Eduardo angenommen, es handelte sich um dasselbe Tier, das ihn von der vorderen Veranda aus beobachtet hatte. Doch plötzlich fragte er sich, ob es in Wirklichkeit nicht ein ganz anderes war. Er ging schnell um das Haus und schlug dabei einen so weiten Kreis, daß er das Tier auf dem Hinterhof im Auge behalten konnte. Er gelangte zu einer Stelle ein gutes Stück vom Haus entfernt -, von der aus er sowohl den Hinter- als auch den Vorhof sehen konnte - und zwei mit ringförmig gezeichneten Schwänzen ausgestattete Waschbären, die wie Wächter dasaßen. Beide sahen ihn an. Er ging zu dem Waschbären vor dem Haus weiter. Das Tier drehte ihm den Schwanz zu und lief über den Hof. Als es eine Entfernung erreicht hatte, die es anscheinend für sicher hielt, blieb es stehen, drehte den Rücken dem höheren, noch nicht gemähten Gras der Wiese zu und beobachtete ihn weiterhin.
»Das gibt's doch nicht«, sagte Eduardo. Er kehrte zur Veranda zurück und setzte sich wieder in den Schaukelstuhl. Das Warten war vorbei. Nach über fünf Wochen würde jetzt etwas passieren. Schließlich wurde ihm klar, daß er das geöffnete Bier neben dem Abfluß stehen gelassen hatte. Er ging hinein und holte es. Jetzt brauchte er es mehr denn je zuvor. Er hatte die Hintertür offenstehen lassen, wenn auch die Fliegentür hinter ihm zugefallen war, als er hinausgegangen war. Er öffnete die Tür, holte sein Bier, blieb am Fenster stehen und beobachtete den Waschbär auf dem Hinterhof einen Augenblick lang und kehrte dann auf die Veranda zurück. Der erste Waschbär hatte sich wieder vom Rand der Wiese vorgewagt und war nur noch drei Meter von der Veranda entfernt. Eduardo hob die Videokamera auf und filmte den kleinen Burschen ein paar Minuten lang. Das Verhalten des Tieres war nicht so ungewöhnlich, daß er damit Skeptiker damit überzeugen könnte, daß sich in den frühen Morgenstunden des dritten Mai ein Übergang aus anderen Gefilden geöffnet hatte. Doch es war immerhin erstaunlich, daß sich ein Nagetier so lange im strahlenden Sonnenschein aufhielt und direkten Blickkontakt mit dem Bediener des Camcorders hielt. Vielleicht würde der Vorfall sich als erstes kleines Fragment in einer Beweiskette erweisen. Nachdem er die Kamera wieder beiseite gelegt hatte, setzte er sich im Schaukelstuhl zurück, beobachtete den Waschbären, wie er ihn beobachtete, und wartete ab, was nun geschehen würde. Gelegentlich putzte der ringelschwanzbewehrte Wachtposten sich die Schnurrbarthaare, kämmte sich den Gesichtspelz, kratzte sich hinter den Ohren oder pflegte sich auf andere Art und Weise. Um halb sechs ging Eduardo Fernandez ins Haus, um das Abendessen zuzubereiten. Die leere Bierflasche, den Camcorder und das Schrotgewehr nahm er mit. Er zog die Haustür zu und schloß sie ab. Durch das ovale Glasfenster der Tür sah er, daß der Waschbär noch immer Wache hielt. Am Küchentisch genoß Eduardo ein frühes Abendessen, bestehend aus Rigatoni, Salami und Weißbrot. Der Notizblock lag neben seinem Teller, und beim Essen schrieb er die faszinierenden Ereignisse des Nachmittags nieder. Er hatte seinen Bericht fast auf den neuesten Stand gebracht, als ihn ein seltsames Klicken ablenkte. Er sah zu dem elektrischen Herd und dann zu den Fenstern, um festzustellen, ob vielleicht etwas gegen das Glas schlug. Als er sich auf dem Stuhl umdrehte, stellte er fest, daß sich hinter ihm in der Küche ein Waschbär befand. Das Tier saß auf den Hinterläufen und musterte ihn. Eduardo schob den Stuhl vom Tisch zurück und erhob sich rasch. Anscheinend war das Tier von der Diele aus in die Küche gekommen. Wie es überhaupt ins Haus gekommen war, blieb jedoch rätselhaft. Das Klicken, das Eduardo gehört hatte, stammte vom Scharren der Klauen auf dem Eichenparkett. Jetzt kratzten sie über den Boden, obwohl der Waschbär sich
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