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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Temperatur lag bei gut fünfundzwanzig Grad, und die Wiesen waren noch von einem satten Grün, da die Hitze des Sommers das Gras noch nicht versengt hatte. Eduardo verbrachte den Großteil des milden Nachmittags in einem Wiener Schaukelstuhl auf der Veranda. Auf dem Boden neben dem Stuhl lag eine neue Videokamera mit einer leeren Kassette und frischen Batterien. Neben der Kamera lag eine Schrotflinte. Er stand ein paarmal auf, um sich eine neue Flasche Bier zu holen oder zur Toilette zu gehen. Und einmal machte er einen halbstündigen Spaziergang um das Haus. Die Kamera nahm er mit. Hauptsächlich jedoch saß er in dem Schaukelstuhl - und wartete. Es war in den Wäldern. Eduardo spürte tief in den Knochen, daß in jener ersten Stunde des dritten Mai, vor über fünf Wochen, etwas über die schwarze Schwelle gekommen war. Er wußte es, und er fühlte es. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was es war oder wo es seine Reise angetreten hatte, doch er wußte, daß es von einer fremden Welt in die Nacht über Montana gekommen war. Danach mußte es ein Versteck gefunden haben, in das es gekrochen war. Keine andere Analyse der Situation ergab einen logischen Sinn. Hätte es gewollt, daß man von seiner Anwesenheit erfährt, hätte es sich ihm in jener Nacht oder später offenbart. Die ausgedehnten und dichten Wälder boten eine unendliche Anzahl von Verstecken, in die man sich zurückziehen konnte. Obwohl die Schwelle gewaltig gewesen war, mußte der Reisende - oder das Gefährt, das ihn beförderte, falls es ein solches gab - nicht unbedingt ebenfalls groß sein. Eduardo war einmal in New York City gewesen und durch den Holland Tunnel gefahren, der viel größer gewesen war als jeder Wagen, der ihn durchquert hatte. Was auch immer aus diesem todesschwarzen Portal gekommen war, mußte nicht unbedingt größer als ein Mensch sein, war vielleicht sogar kleiner und konnte sich fast überall in diesen bewaldeten Tälern und Hügeln verstecken. Die Schwelle selbst verriet nichts über den Reisenden, abgesehen davon, daß er zweifellos intelligent war. Hinter der Schöpfung dieses Tors standen eine hochentwickelte Wissenschaft und technische Fertigkeiten. Er hatte genug von Heinlein und Clarke gelesen - und einigen anderen Autoren ihres Genres -, um seine Phantasie anzuregen, und er hatte begriffen, daß der Eindringling eine Vielzahl von Ursprüngen haben konnte. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um einen Außerirdischen. Doch er konnte auch aus einer anderen Dimension oder aus einer Parallelwelt stammen. Es mochte sich sogar um ein menschliches Wesen handeln, das aus der fernen Zukunft einen Durchgang in diese Epoche geöffnet hatte. Die zahlreichen Möglichkeiten waren verwirrend, und er kam sich nicht mehr wie ein Narr vor, wenn er Spekulationen über sie anstellte. Es war ihm auch nicht mehr peinlich, sich in der Stadtbibliothek phantastische Literatur auszuleihen - obwohl die Bilder auf den Umschlägen oftmals der reinste Schund waren, wenn auch gut gezeichnet -, und er hatte einen unersättlichen Appetit auf sie entwickelt. Er hatte sogar feststellen müssen, daß er nicht mehr die Geduld besaß, die realistischen Schriftsteller zu lesen, die er sein Leben lang bevorzugt hatte. Ihr Werk war einfach nicht so realistisch, wie es zuvor den Anschein gehabt hatte. Verdammt, für ihn war es überhaupt nicht mehr realistisch. Wenn er sich jetzt ein paar Seiten in ein Buch oder eine Geschichte von ihnen eingelesen hatte, stellte sich bei ihm das entschiedene Gefühl ein, daß ihr Blickpunkt aus einer extrem schmalen Scheibe der Wirklichkeit bestand, als würden sie das Leben durch den Schlitz einer Schweißermaske betrachten. Sie schrieben gut, natürlich, aber sie schrieben nur über einen winzigen Splitter der menschlichen Erfahrungen auf einer großen Welt und in einem unendlichen Universum. Nun zog er Autoren vor, die über diesen Horizont hinaus sehen konnten, die wußten, daß die Menschheit eines Tages das Ende der Kindheit erreichen würde, die glaubten, daß der Intellekt über Aberglaube und Unwissenheit triumphieren konnte, und die noch zu träumen wagten. Er spielte des weiteren mit dem Gedanken, einen zweiten Discman zu kaufen und es noch einmal mit Musik von Wormheart zu versuchen. Er trank die Flasche Bier aus, stellte sie neben dem Schaukelstuhl auf die Veranda und wünschte, er könnte glauben, daß das Ding, das über die Schwelle gekommen war, einfach eine Person aus der fernen Zukunft war, oder

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