Wintermond
nicht bewegt zu haben schien. Eduardo bemerkte, daß ein heftiges Zittern das Tier durchlief. Zuerst dachte er, es fürchte sich hier im Haus, fühle sich bedroht und in die Enge getrieben. Er trat ein paar Schritte zurück, um dem Tier Platz zu machen. Der Waschbär gab ein hohes, wimmerndes Geräusch von sich, das weder eine Drohung noch ein Ausdruck von Furcht war, sondern unmißverständlich von Not kündete. Es hatte Schmerzen, war verletzt oder krank. Eduardos erster Gedanke war: Tollwut. Die Pistole lag auf dem Tisch; dieser Tage hielt er stets eine Waffe in Reichweite. Er ergriff sie, obwohl er das Tier nicht im Haus töten wollte. Nun bemerkte er, daß die Augen des Tieres unnatürlich aus den Höhlen quollen und das Fell unter ihnen naß und verflochten vor Tränen war. Die kleinen Klauen zerfetzten die Luft, und der mit schwarzen Ringen gezeichnete Schwanz peitschte wütend auf den Eichenboden hin und her. Würgend fiel der Waschbär auf die Hinterbacken und dann auf die Seite. Er zuckte krampfhaft, und seine Flanken hoben sich, als hätte er Atemschwierigkeiten. Plötzlich sprudelte Blut aus den Nasenöffnungen und tropfte aus den Ohren. Nach einem letzten Krampf, bei dem es wieder mit den Klauen über den Boden scharrte, blieb das Tier ruhig liegen. Es war tot.
»Großer Gott«, sagte Eduardo. Seine Hand zitterte, als es sich die Schweißtropfen von der Stirn und dem Haaransatz wegwischte. Der tote Waschbär schien kleiner zu sein als seine Artgenossen draußen die beiden Wachtposten. Vielleicht war er jünger als die beiden anderen; oder vielleicht handelte es sich bei denen um Männchen, während dies hier ein Weibchen war. Er erinnerte sich, die Küchentür offenstehen gelassen zu haben, als er um das Haus gegangen war, um festzustellen, ob es sich bei den Wachtposten auf dem Vor- und Hinterhof um ein und dasselbe Tier gehandelt hatte. Die Fliegentür war geschlossen gewesen. Aber sie war nicht besonders schwer, nur ein schmaler Kiefernrahmen und das Gitter selbst. Vielleicht hatte der Waschbär, sie so weit aufstoßen können, daß er die Schnauze, den Kopf und dann den gesamten Körper durch die Lücke schieben und sich ins Haus schleichen konnte, bevor er zurückgekommen war und die hintere Tür geschlossen hatte. Aber wo im Haus hatte das Tier sich versteckt, während er den Spätnachmittag in dem Schaukelstuhl verbracht hatte? Was hatte es angestellt, als es das Abendessen zubereitet hatte? Er ging zum Fenster neben der Spüle. Da er so früh gegessen hatte und die Sonne in diesen Monaten erst spät unterging, war die Dämmerung noch nicht angebrochen, und er konnte den sonderbaren Beobachter deutlich ausmachen: Der Waschbär saß auf den Hinterläufen im Hinterhof und beobachtete beflissen das Haus. Eduardo trat vorsichtig um das bedauernswerte Geschöpf auf dem Boden, ging durch die Diele, schloß die Haustür auf und trat hinaus, um festzustellen, ob auch der andere Wachtposten noch an Ort und Stelle war. Der Waschbär befand sich nicht mehr auf dem Hof, wo er ihn zuletzt gesehen hatte, sondern auf der Veranda, nur ein paar Schritte von der Tür entfernt. Er lag auf der Seite, und Blut bildete ein Pfütze in dem Ohr, das Eduardo sehen konnte. Auch an den Nüstern klebte Blut, und die Augen des Tiers waren weit geöffnet und glasig. Eduardo richtete seine Aufmerksamkeit jetzt auf den Wald unterhalb des Hauses, den Rand der Wiese. Die untergehende Sonne, die auf den Gipfeln der Berge im Westen balancierte, warf schräge gelbe Strahlen zwischen die Baumstämme, konnte die hartnäckigen Schatten aber nicht durchdringen. Als Eduardo in die Küche zurückkehrte und wieder aus dem Fenster sah, lief das Tier auf dem Hinterhof hektisch im Kreis herum. Fernandez trat auf die Veranda hinaus und hörte das Tier vor Schmerzen quieken. Nach ein paar Sekunden brach es zusammen und wälzte sich auf dem Boden. Seine Seiten hoben sich noch einen Augenblick lang, dann lag es reglos da. Eduardo sah den Hügel hinauf, an dem toten Waschbären auf dem Gras vorbei, zu den Bäumen, die das Steinhaus flankierten, in dem er gewohnt hatte, als er noch Hausmeister gewesen war. Da die Sonne bereits langsam hinter die Rockies glitt und nur noch die höchsten Äste erhellte, war die Dunkelheit zwischen diesen Bäumen tiefer als im Wald unterhalb des Hauses. Irgend etwas war in der Luft. Eduardo nahm nicht an, daß das seltsame Verhalten der Waschbären von Tollwut oder irgendeiner anderen Krankheit herrührte. Irgend
Weitere Kostenlose Bücher