Wintermond
etwas...beherrschte sie. Vielleicht hatten die Mittel, durch die diese Kontrolle ausgeübt wurde, die armen Tiere körperlich so sehr beansprucht, daß sie zu ihrem plötzlichen, krampfartigen Tod geführt hatten. Oder das Wesen im Wald hatte sie vielleicht absichtlich getötet, um das Ausmaß seiner Kontrolle zu überprüfen, Eduardo mit seiner Macht zu beeindrucken und ihm klarzumachen, daß es ihn genauso problemlos ausschalten konnte, wie es die Waschbären getötet hatte. Er kam sich beobachtet vor - und nicht nur durch die Augen weiterer Waschbären. Wie eine Flutwelle aus Granit erhoben sich am Horizont die nackten Gipfel der höchsten Berge. Langsam versank die orangefarbene Sonne in diesem steinernen Meer. Eine immer schwärzere Dunkelheit bildete sich unter den Ästen der Nadelbäume, aber Eduardo hatte den Eindruck, daß selbst das tiefste natürliche Schwarz nicht der Finsternis im Herzen dieses Beobachters im Wald gleichkam - falls er überhaupt ein Herz hatte. Obwohl Eduardo überzeugt war, daß Krankheiten bei dem Verhalten und Tod der Waschbären keine Rolle gespielt hatten, konnte er sich seiner Diagnose nicht sicher sein, und so ergriff er Vorsichtsmaßnahmen, als er die Kadaver beiseitigte. Er band sich ein Tuch über Nase und Mund und streifte sich Gummihandschuhe über. Er berührte die Kadaver nicht, sondern nahm sie mit einer Schaufel auf und warf sie dann in Plastikmüllsäcke. Er band jeden Müllsack einzeln zu und legte sie dann auf die Ladefläche des CherokeeKombis in der Garage. Nachdem er die kleinen Blutflecke auf der Veranda entfernt hatte, schrubbte er den Küchenboden mit mehreren Baumwollappen und reinem Lysol. Schließlich warf er die Lappen in einen Eimer, zog die Handschuhe aus, ließ sie auf die Lappen fallen und stellte den Eimer auf die hintere Veranda, um sich später damit zu befassen. Dann legte er ein geladenes Schrotgewehr und die Pistole in den Cherokee-Kombi. Er nahm auch die Videokamera mit, weil er nicht wußte, wann er sie wieder brauchen würde. Außerdem enthielt das Band, das sich jederzeit in der Kamera befand, die Aufnahmen von den Waschbären, und er wollte nicht, daß sie genauso verschwanden wie das Band, das er von den leuchtenden Bäumen und der schwarzen Türöffnung gemacht hatte. Aus demselben Grund nahm er auch den Notizblock mit, der zur Hälfte mit seinen handschriftlichen Berichten über die Ereignisse der jüngsten Zeit gefüllt war. Nachdem er alles für die Fahrt nach Eagle's Roost vorbereitet hatte, wich die lange Dämmerung endlich der Nacht. Früher hatte er keine Angst vor der Finsternis gekannt, aber jetzt fürchtete er sich davor, in ein dunkles Haus zurückkehren zu müssen; deshalb schaltete er in der Küche und der Diele das Licht an. Nachdem er kurz darüber nachgedacht hatte, schaltete er auch die Lampen im Wohn- und Arbeitszimmer ein. Er schloß ab, setzte den Cherokee aus der Garage - und fand, daß noch ein zu großer Teil des Hauses im Dunklen lag. Er ging wieder hinein und schaltete auch im Obergeschoß ein paar Lampen ein. Als er zum Cherokee zurückkehrte und die fast einen Kilometer lange Auffahrt zur südlich vom Haus gelegenen Landstraße hinabrollte, brannte auf beiden Stockwerken des Hauses hinter jeder Fensterscheibe Licht. Die Weite Montanas kam ihm leerer als sonst vor. Kilometer um Kilometer fuhr er an den schwarzen Hügeln auf der einen und den zeitlosen Ebenen auf der anderen Seite vorbei. Die wenigen Lichtballungen, die er ausmachte, waren stets weit entfernt. Sie schienen auf einem Meer zu treiben, als wären sie Lichter von Schiffen, die sich unerbittlich entfernten, dem einen oder anderen Horizont entgegen.
Obwohl der Mond noch nicht aufgegangen war, war Eduardo nicht der Ansicht, daß sein Schein die Nacht hätte weniger bedrohlich oder freundlicher wirken lassen. Das Gefühl der Absonderung, das ihm zusetzte, hatte mehr mit seiner inneren Landschaft als mit den Bergen Montanas zu tun. Er war Witwer, hatte keine Kinder und befand sich wahrscheinlich im letzten Jahrzehnt seines Lebens. Von den meisten seiner Mitmenschen wurde er durch sein Alter, sein Schicksal und seine Neigungen getrennt. Außer Margarite und Tommy hatte er nie jemanden gebraucht. Nachdem er sie verloren hatte, hatte er sich damit abgefunden, seine letzten Jahre in fast mönchischer Abgeschiedenheit zu verbringen - und war zuversichtlich gewesen, daß ihm dies möglich war, ohne sich der Langeweile oder Verzweiflung hinzugeben. Nun jedoch
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