Wintermond
Haus dunkel. So schwarz wie die Eingeweide des Teufels.
Bevor er richtig mitbekam, was er tat, betätigte er die Zentralverriegelung und sicherte damit gleichzeitig alle Türen des Kombis. Er blieb eine Weile sitzen und betrachtete das Haus. Die Tür war verschlossen, und alle Fenster, die er sehen konnte, waren unbeschädigt. Er bemerkte nichts Ungewöhnliches. Abgesehen von der Tatsache, daß jedes Licht in jedem Zimmer des Hauses ausgeschaltet worden war. Von wem? Wovon?
Ein Stromausfall konnte dafür verantwortlich sein - aber daran glaubte er nicht. Manche Gewitter über Montana waren harte Brocken; im Winter konnten Schneestürme und das sich anhäufende Eis die Stromversorgung zusammenbrechen lassen. Aber heute abend hatte es keinen Sturm gegeben, es war kaum ein Lüftchen gegangen. Auf dem Nachhauseweg waren ihm keine zusammengebrochenen Stromleitungen aufgefallen. Das Haus wartete. Er konnte nicht die ganze Nacht im Wagen sitzen bleiben. Konnte nicht in ihm wohnen, um Gottes willen. Er fuhr langsam das letzte Stück der Auffahrt entlang und blieb vor der Garage stehen. Er griff nach der Fernbedienung und drückte auf den einzigen Knopf darauf. Das automatische Garagentor rollte hoch. In dem Raum, der Platz für drei Fahrzeuge bot, leuchtete die Lampe an der Decke auf, deren Schaltuhr auf drei Minuten eingestellt war, und verbreitete immerhin genug Licht, um zu enthüllen, daß in der Garage nichts fehlte. Soviel zu der Theorie vom Stromausfall. Er ergriff das Gewehr, das mit der Mündung nach unten auf dem Beifahrersitz lag, und stieg aus. Die Fahrertür ließ er offenstehen, die Scheinwerfer und den Motor ließ er eingeschaltet. Ihm gefiel der Gedanke nicht, daß er beim ersten Anzeichen von Ärger den Schwanz einziehen und abhauen würde. Aber wenn er die Wahl zwischen Flucht und dem Tod hatte, würde er schneller laufen als alles, was ihn verfolgte. Obwohl das Schrotgewehr nur fünf Patronen enthielt - eine im Lauf und vier in der Kammer - machte er sich keine Vorwürfe, daß er keine Ersatzmunition mitgenommen hatte. Wenn er das Pech hatte, einem Wesen zu begegnen, das er auf kurze Reichweite nicht mit fünf Schüssen aufhalten konnte, würde ihm sowieso keine Zeit zum Nachladen mehr bleiben. Er ging zum Haus, stieg die Verandatreppe hinauf und legte die Hand auf das Türschloß. Es war verriegelt. Der Haustürschlüssel hing an einem anderen Bund. Er fischte ihn aus der Jeanstasche und schloß die Tür auf. Er blieb draußen stehen, hielt die Schrotflinte in der rechten Hand, griff mit der linken quer durch die Türöffnung und suchte nach dem Lichtschalter. Er rechnete damit, daß etwas aus der Diele stürmte und ihn angriff - oder die Hand über die seine legte, während er die Wand nach dem Lichtschalter abtastete. Er fand den Schalter und betätigte ihn, und Licht durchflutete die Diele und ergoß sich an ihm vorbei auf die Veranda. Er trat über die Schwelle, schob die Tür weiter auf und machte noch ein paar Schritte. Im Haus war alles ruhig. Dunkle Räume auf beiden Seiten der Diele. Links das Arbeits-, rechts das Wohnzimmer. Es gefiel ihm nicht besonders, einem der Räume den Rücken zuzuwenden, doch schließlich trat er nach rechts, durch die gewölbte Türöffnung. Das Schrotgewehr hielt er in der ausgestreckten Hand. Als er die Deckenlampe einschaltete, stellte es sich heraus, daß das große Wohnzimmer verlassen war. Kein Eindringling. Nichts Außergewöhnliches. Dann bemerkte er einen dunklen Klumpen, der auf den weißen Fransen des Orientteppichs lag. Auf den ersten Blick dachte er, es handele sich um Fäkalien; er nahm kurz an, daß ein Tier ins Haus eingedrungen war und hier sein Geschäft erledigt hatte. Doch als er näher trat und es genauer betrachtete, stellte er fest, daß es sich um einen zusammengepreßten Klumpen aus feuchter Erde handelte. Ein paar Grashalme ragten aus ihm hervor. Er kehrte in die Diele zurück und sah nun auch auf dem Eichenparkett ein paar kleinere Erdklumpen. Vorsichtig wagte er sich ins Arbeitszimmer, in dem es keine Deckenlampe gab. Der Lichteinfall aus der Diele zerstreute die Schatten so weit, daß er die Schreibtischlampe fand und einschalten konnte. Mittlerweile eingetrocknete Erdkrumen und -flecken verschmierten die Schreibtischunterlage. Mehr davon fand er auf dem roten Lederpolster des Sessels.
»Was, zum Teufel...«, fragte er sich leise.
Vorsichtig rollte er die Spiegeltüren des Aktenschranks zur Seite, doch niemand versteckte sich darin. Er
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