Wintermond (German Edition)
Gesichtsausdruck auf. „Ich stör’ euch nicht lange.“
Ben starrte Alex an. In seinem Magen begann es zu kribbeln und mit dem Erscheinen des Blonden kehrte augenblicklich die Erinnerung an den Kuss in seinen Verstand zurück. Alex sah blass aus. Seine verletzte Hand hatte er noch immer provisorisch verbunden, in der anderen hielt er eine schwarze Sporttasche. Er trug eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd, dessen oberste Knöpfe offen waren. Einige seiner blonden Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht und ließen ihn noch attraktiver erscheinen. Insgesamt sah er recht elegant aus und hatte sich offenbar bewusst gestylt, als ob er noch etwas Bestimmtes vorhaben würde. Ben versuchte diesen Gedanken sofort wieder loszuwerden, doch war es bereits zu spät dafür. Ein stechendscharfes Gefühl von Eifersucht schleppte sich durch seinen Körper und bohrte sich wie ein Dolch in seine Eingeweide. Dieses Gefühl wurde zusätzlich von enormer Neugierde begleitet. Ben wollte wissen, was Alex vorhatte und nicht einfach nur tatenlos herumsitzen. Doch in Jos Anwesenheit konnte er Alex’ Aufmachung nicht hinterfragen. Deshalb blieb er schweigend sitzen und versuchte sich innerlich zusammenzureißen.
„Ich bin erst mal für ’ne Nacht weg“, erklärte Alex und verzog dabei keinerlei Mimik. Er schien auf eine Reaktion seines Vaters zu warten, doch erwiderte dieser nichts. Jo drehte sich nicht einmal zu ihm um, sondern starrte weiterhin auf das Schachbrett, als ob ihm dieses Spiel wesentlich wichtiger war als der eigene Sohn.
Ben hingegen konnte sich nicht von dem Blonden abwenden und erschrak förmlich, als dieser seinen Blick plötzlich erwiderte. Sie sahen sich fest in die Augen und Alex’ Ausdruck sprach dabei Bände. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte er vorwurfsvoll und verletzt, doch nur einen Moment später wieder abweisend und hasserfüllt. Dann machte der Blonde kehrt, um den Wintergarten daraufhin wieder zu verlassen. Ben blickte ihm gedankenverloren hinterher und merkte dabei gar nicht, wie abwesend er auf Jo wirken musste. Er erwachte erst wieder aus dem Gedankentief, als dieser seinen König aufs einzig sichere Feld rückte und daraufhin ziemlich direkt und monoton fragte:
„Stehst du auf ihn?“
Ben erschrak. Er glaubte, sich verhört zu haben und sah seinem Gegenüber irritiert und zugleich fassungslos ins Gesicht. Jo verzog keine Miene. Er saß lediglich ausdruckslos da und schien seelenruhig auf Bens Antwort zu warten. Doch dieser brachte in jenem Moment kein einziges Wort über die Lippen. Er wusste nicht, ob er ehrlich antworten, lügen oder einfach abhauen sollte. Mit einer so intimen Frage hatte er nicht gerechnet und sie brachte ihn derart in die Bredouille, dass er sich erst einmal sein Weinglas nehmen musste und den Inhalt trotz des widerlichen Geschmacks leer exte.
„Nervös?“, hakte Jo nach. „Ist doch ganz simpel. Stehst du auf ihn?“, widerholte er sich und hob seine Augenbrauen, um seiner Frage Nachdruck zu verleihen.
Ben rang mit sich selbst. Noch immer wusste er nicht, wie er reagieren sollte. Vermutlich würde Jo ihn sofort rausschmeißen, wenn er erfahren würde, dass Ben auf Alex abfuhr. Jo wirkte bislang nämlich nicht sonderlich begeistert von Bens Homosexualität, hatte diese allerdings aufgrund Bens Talents hingenommen und akzeptiert. Womöglich würde die Antwort auf die gestellte Frage diese Sachlage noch einmal grundliegend ändern. Er öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich darauf wieder. Dann begann er zu gestikulieren, öffnete seinen Mund ein weiteres Mal und erstarrte kurz darauf erneut in schweigender Position. Schließlich gab er sich einen Ruck. Sein Verhalten war sowieso schon zu aussagekräftig gewesen. Also versuchte er sich zu beruhigen, presste seine Handinnenflächen zusammen und tippte so mehrere Male mit beiden Zeigefingern gegen seine Lippen. Dann nahm er seine Hände herunter, blickte auf und sah Jo direkt in die Augen.
„Ja“, sagte er und klang dabei ruhiger als erwartet.
Jo reagierte nicht wie gedacht. Es gab keinen Vorwurf, keinen Spott und auch kein Gelächter. Es gab nicht einmal den Ausdruck von Ekel in seinem Gesicht. Das einzige, was er tat, war, zu fragen:
„Warum? Von eurer ersten Begegnung an behandelt er dich wie den letzten Dreck.“
In einer gewissen Hinsicht hatte Jo Recht. Alex hatte sich Ben gegenüber nie fair und immer sehr herablassend verhalten. Doch es gab viele Dinge, die Jo nicht wusste und
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