Wintermond (German Edition)
eigentlich als Nachtdomizil eingeplant hatte. Genervt stöhnte er auf. Zwar war er erleichtert, doch ein Rest Anspannung hing noch immer in seinen Gliedern und jagte zwischendurch einen kalten Schauer über seinen Rücken. Die Polizei war wieder weg, seine Probleme waren allerdings allgegenwärtig. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er seinem Vater dankbar sein konnte. Nicht dafür, dass er sein Vater war, aber dafür, dass er einen Namen hatte, welcher Alex vor wenigen Minuten aus einer prekären Situation verholfen hatte. Außerdem hatte das Schicksal es offenbar gut mit ihm gemeint, denn er hatte ungemein viel Glück gehabt. Es hätte einiges schief gehen können und er mochte sich nicht einmal ausmalen, was dann passiert wäre. Doch so weit war es erfreulicherweise nicht gekommen. Es schien fast, als hätte das ganze Polizeigespräch überhaupt nicht stattgefunden oder als würde es bloß aus einem schlechten Traum stammen. Das einzige, was Alex in jenem Moment noch von dem Gegenteil überzeugte, war die Anspannung, die sich in Form eines innerlich drückenden Gefühls äußerte, als ob sein Herz nicht mehr genügend Freiraum zum Schlagen hätte. Er hoffte, dass es vorerst bei dieser einen polizeilichen Befragung bleiben würde und er seine Rolle so gut gespielt hatte, dass die Polizisten ihn keineswegs in Zusammenhang mit Diegos Verschwinden oder dem Einbruch bringen würden.
Ganz allmählich ließ die Spannung in ihm nach und wurde dafür von einer plötzlich aufkommenden innerlichen Leere ersetzt. Alex wollte nachdenken, seine Gedanken ordnen, doch sein Kopf war so überladen, dass sein Körper offensichtlich eine Schutzfunktion einschaltete und ihn auf Sparflamme herunterregelte. Zwar dachte er noch immer an die Polizei und Diego und auch an Ben und Sam, doch in einer derart objektiven und gefühlslosen Art und Weise, dass er sich plötzlich völlig abwesend in seinem eigenen Körper empfand. Er fühlte sich völlig ausgelaugt und erschöpft. Eigentlich war jegliche Lust auf einen amüsanten Abend in einer Bar verschwunden, doch der Reiz nach dem ein oder anderen Schluck Alkohol war im Endeffekt doch größer als die Müdigkeit und überzeugte ihn letztendlich davon, den angefangenen Abend zu vollenden und seinem bislang beschissenen Tag ein stilvolles Ende zu verpassen. Etwas Alkohol, eine Frau und ein bisschen Sex - genau so würde der Tag diesen würdevollen Abschluss bekommen. Also begann er zu überlegen, wo er hinfahren sollte und wo es für ihn am einfachsten sein könnte, irgendein stupides Mädchen von sich zu überzeugen. Schwierig war das eigentlich nie. Er musste nur etwas charmant sein, sein gefülltes Portemonnaie zücken, der Frau ein paar Drinks spendieren und beiläufig durchblicken lassen, wer sein Vater war und wo er wohnte. Nach einem endlosen, mit banalen Themen gefüllten Gespräch würde er die Bar dann mit dem ausgesuchten Mädchen verlassen, sich draußen von ihr verabschieden wollen und sie dabei einladend zu seinem teuren BMW führen. Ab diesem Moment würde der Rest wie von selbst geschehen. So war es bislang immer gewesen und so würde es auch an dem heutigen Abend sein.
Alex legte seinen Kopf in den Nacken, schloss seine Augen und strich sich mit gespreizten Fingern seiner rechten Hand durchs Haar. Dann nahm er den Kopf wieder nach vorn, fuhr sich noch einmal übers Gesicht und öffnete seine Augen wieder. Erst daraufhin hatte er das Gefühl, den Schreck von vorhin endgültig verdaut zu haben. Etappenweise begann sein Denken wieder einzusetzen und sein Verstand wieder zu funktionieren, auch wenn sein Gedächtnis einige Fakten gekonnt ausblendete. Er atmete noch einmal tief durch und zog den Schlüssel aus der Zündung. Jetzt hatte er endlich einen Plan für den kommenden Abend: Er würde sein Auto hier stehen lassen und ins „ Christiansen’s “ gehen, einer gemütlichen Bar mit guten Drinks und Cocktails, die sich am Pinnasberg und damit direkt an der nächsten Ecke befand. Alex war schon oft im Christiansen’s gewesen und hatte sich davon überzeugen können, dass diese Bar es tatsächlich verdient hatte, jährlich ein paar nette Auszeichnungen zu erhalten.
Er war zufrieden über seine Entscheidung und verstand selbst nicht, warum er das Christiansen’s nicht früher in Betracht gezogen hatte. Dort würde er nicht nur gut trinken können, sondern auch mit hoher Wahrscheinlichkeit ein hübsches Mädel aufreißen. Mit diesem konkreten Vorhaben öffnete er die
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