Wintermond (German Edition)
heruntergekommenen Straße gewesen war. Doch viel wichtiger war, dass sein Vorhaben funktionierte, die Polizei nun nach Geldschulden fragte und damit vermutlich allein Diego in den Zusammenhang mit dem Einbruch brachte und so kein weiterer Verdacht auf ihn selbst fiel. Alex fühlte sich nicht schlecht bei dem, was er tat, denn es war ja nicht so, dass er seinem Kumpel damit schaden konnte. Die Polizei suchte Diego anscheinend sowieso und schien ihn längst als Hauptverdächtigen zu sehen. Doch der Italiener war längst untergetaucht und würde vermutlich überhaupt nicht gefasst werden können, denn für ihn war es nichts Neues, abzuhauen und vor der Polizei zu fliehen.
„Ich weiß nicht genau“, antwortete Alex und tat so, als ob er nachdenken würde. „Er hat sich ein paar Mal Geld von mir geliehen und brauchte immer mehr. Ich hab’ ihm irgendwann keines mehr gegeben. Kann gut sein, dass er noch ein paar offene Schulden hatte.“
Die Polizistin betrachteten Alex ganz genau, schien jede seiner Gesten zu interpretieren und nur darauf zu warten, dass er einen Fehler machte.
„Darf ich Ihren Ausweis mal sehen?“, bat sie ihn dann und setzte mit ihren vollen Lippen einen Blick auf, der Alex an Angelina Jolie alias Tomb Raider erinnerte. Darüber musste er innerlich schmunzeln und zusätzlich aufgrund der Tatsache, dass den beiden eine derart wichtige Forderung erst zu einem so späten Zeitpunkt in den Sinn kam.
„Ist das wirklich nötig?“, fragte Alex und hauchte erneut in seine Hände, um sie mit warmem Atem zu erwärmen.
„Ja, ist es“, erwiderte der Polizist und blickte streng zurück.
Alex griff in seine linke Hosentasche und zog sein schwarzes Lederportemonnaie hervor. Er beeilte sich nicht sonderlich, sondern nutzte jede freie Sekunde, um in Ruhe nachdenken zu können. Die Polizei hatte ihn nicht auf irgendeinen Studenten angesprochen, weshalb er vermutete, dass dessen Verschwinden vielleicht noch gar nicht aktenkundig war. Immerhin hatte der Typ für acht Wochen irgendwo in Österreich jobben wollen und schien bislang von niemandem vermisst zu werden. Außerdem wusste er nun, warum Diegos Nachbarin ihn so merkwürdig beobachtet hatte. Sie war es gewesen, die die Polizei gerufen hatte, weil sie offenbar den von Alex verursachten Krach gehört und einen weiteren Einbruch oder aber Diegos Rückkehr vermutet hatte.
„Bitte sehr“, sagte Alex, als er seinen laminierten Personalausweis hervorzog und der blonden Beamtin selbstbewusst entgegenstreckte. Sie nahm ihn an und sah Alex dabei fest in die Augen. Erst nach einigen weiteren Sekunden senkte sie ihren Kopf und warf einen Blick auf den Pass. Alex wartete gespannt und war sich sicher, dass sein Name den Polizisten etwas sagen würde, denn sein Vater war ein bekannter Architekt, der auch in Hamburg schon die eine oder andere Baulichkeit entworfen hatte.
„Alexander Tannenberger?“, las sie laut vor und klang recht unsicher. Sie schien das Lichtbild einige Male mit dem vor ihr stehenden Original zu vergleichen, indem sie mehrmals auf- und wieder hinabblickte.
„Ja, so ist mein Name“, erwiderte Alex und grinste erhaben.
„Gib’ mal her!“, forderte der ältere Polizist seine Kollegin daraufhin auf und riss ihr den Ausweis aus den Händen. Dann betrachtete er ihn ebenfalls, sah kurze Zeit später auf und lächelte Alex höflich an.
„Sie sind der Sohn von Johannes Tannenberger, richtig?“, fragte er und gab dem Angesprochenen sein Dokument zurück. „Den können Sie wieder einstecken.“
Alex gehorchte, nahm seinen Ausweis entgegen und ließ ihn zurück im Portemonnaie verschwinden. Er vermutete, dass der Polizist ihn aufgrund seiner Adresse sofort mit seinem Vater in Verbindung gebracht hatte. Dann herrschte einen Moment lang ein angespanntes Schweigen, bis die Blondine sich plötzlich räusperte und wieder zu sprechen begann: „Also, Herr Tannenberger ... Haben Sie irgendeine Ahnung, wo Herr Maldini sich aufhalten könnte?“
Noch immer war von keinem vermissten Studenten die Rede und auch von dem Einbruch bei Diegos Nachbarin erwähnten sie nichts. Sie hinterfragten nicht einmal die illegalen Pokerspiele, von denen Alex zu Beginn erzählt hatte. Er war erleichtert und konnte förmlich spüren, wie die Angst nach und nach aus ihm wich.
„Nein“, antwortete er sicher. „Ich hab’ eben erst versucht ihn anzurufen. Aber er geht nicht ans Handy.“
Wieder wurde einen Moment lang geschwiegen, der Polizist kratzte sich verlegen an
Weitere Kostenlose Bücher