Wintermond (German Edition)
länger zurückzuhalten. Sämtliche Muskeln seines Körpers waren angespannt. Er nahm das Handy vom Ohr und legte auf. Völlig verkrampft stopfte er es zurück in seine Hosentasche und nahm gleich darauf ein paar Schlucke seines Drinks. Als er dann wieder in die Richtung des Kerles sah, mit dem er bis eben telefoniert hatte, war dieser bereits verschwunden. Es kam Alex fast vor, als ob er niemals existiert hätte. Erneut griff er nach dem silbernen Becher, exte das bittersüße Gemisch herunter und schob die Tasse gleich darauf weit von sich. Da er zu viel auf einmal getrunken hatte, verzog er sein Gesicht etwas und spürte dabei ein brennendes Gefühl durch seine Speiseröhre ziehen. Gedankenverloren wischte er sich mit seinem Handrücken über die feuchten Lippen und stöhnte laut auf. Dann hob er seine Hand und winkte den Barkeeper, der gerade in seine Richtung blickte, ungeduldig zu sich.
„Noch einen?“, fragte dieser daraufhin und klang mitfühlend. Er nahm den silbernen Becher vom Tresen und wischte flüchtig mit einem feuchten Lappen über den glänzenden Holztisch.
„Was Stärkeres“, entgegnete Alex und verlor allmählich die Kontrolle über seine Mimik, wodurch er mittlerweile mehr verzweifelt als lässig auf Außenstehende wirken musste.
„Ist nicht dein Tag heute, was?“, fragte der Barkeeper einfühlsam.
„Wenn’s nur dieser eine Tag wäre ...“, erwiderte Alex, atmete tief ein und pustete die eingeatmete Luft daraufhin erschöpft wieder aus.
„Ich glaub’ ein Royal Navy Fog Cutter ist genau das Richtige für dich“, dachte die Bedienung laut und nickte entschieden.
„Machen Sie was auch immer ... wie auch immer ... Hauptsache es ist stark genug, um den ganzen Scheiß zu vergessen“, sagte Alex, hörte sich dabei selbst zu und merkte, wie depressiv er klang.
„Wird gemacht“, erwiderte der Barkeeper, drehte sich um und begann verschiedene Flaschen aus dem zahlreichen Spirituosensortiment der Bar zusammen zu suchen. Er schien vollkommen in seinem Element zu sein. Alex beobachtete ihn fasziniert, war mit seinen Gedanken aber ganz woanders. Sein Kopf begann leicht zu schmerzen, während die benebelnde Wirkung des Alkohols sich nach und nach zu äußern begann. Er rutschte mit seinem Hocker etwas weiter nach vorn und spürte dabei, dass ihm ein wenig schwindelig wurde. Das lag vermutlich daran, dass er die beiden ersten Drinks binnen sehr kurzer Zeit geleert hatte. In seinem Magen dehnte sich ein flaues Gefühl aus und sein gesamtes Denken begann sich zu verlangsamen. Er dachte an so viel Verschiedenes, dass er überhaupt nicht wusste, wie er damit beginnen sollte, das kaum zu bändigende Durcheinander in seinem Kopf zu ordnen. Zunächst einmal empfand er es als dringend notwendig, sich einen Überblick über das wirre Gespinst seiner vielen Probleme zu verschaffen.
„So, bitte schön“, unterbrach der Barkeeper seine Gedankenzüge für einen kurzen Moment. „Der wird dich umhauen.“
Alex entgegnete nichts, beobachtete nur, wie der dunkelhaarige Typ eine schwarze Tasse auf den Tresen stellte und sie daraufhin mit der Hand in seine Richtung schob.
„Wohl bekomm’s!“, fügte er noch hinzu und wandte sich mit diesen Worten wieder von ihm ab.
Alex griff nach dem Henkel der Tasse und zog ihn in eine für ihn besser greifbare Position. Dann hob er die Blechtasse und setzte den kalten Becherrand an seine Lippen. Sofort kroch ein starkes Rumaroma in seine Nase, was ihn annähernd erahnen ließ, wie stark das Gebräu sein musste. Er nippte an dem Getränk, behielt die aufgenommene Flüssigkeit einige Sekunden in seinem Mund und schluckte sie schließlich herunter. Der Drink schmeckte etwas süßlich, fast wie Marzipan und gleichzeitig fruchtig und sehr aromatisch. Noch nie zuvor hatte Alex etwas Derartiges getrunken und schaffte es auch nicht, den außergewöhnlichen Geschmack genauer zu definieren. Aber das war unwichtig, denn für ihn zählte nur, dass der Drink kräftig war und ihm schmeckte. Er nahm noch einen weiteren Schluck und stellte die Tasse daraufhin wieder vor sich ab, um sich voll und ganz auf seine Gedankenwelt zu konzentrieren. Die ruhige Jazzmusik der Bar verstärkte seinen Gemütszustand noch zusätzlich. Er fühlte sich fast wie in einem schlechten Film, in dem ein reicher, einsamer Kerl so viel Mist gebaut hatte, dass ihm letztendlich nichts anderes mehr half, als sich in irgendeiner Bar zu betrinken, dabei der melancholischen Jazzmusik zu lauschen und sich
Weitere Kostenlose Bücher