Wintermond (German Edition)
sofort.
„Keine Fragen!“, wiederholte er sich deutlich.
Jo schloss seinen Mund daraufhin wieder und wandte seinen Blick ein weiteres Mal ab. Er wirkte nachdenklich und gleichzeitig sehr aufgewühlt. Er schien sich jedoch zusammenzureißen, seine Fassungslosigkeit nicht vollkommen nach außen dringen zu lassen. Nach weiteren Sekunden blickte er Ben wieder an und nickte dabei kaum merklich.
„Gut“, sagte er knapp. „Ich muss mich wohl oder übel an meine Abmachungen halten.“
Ben konnte nicht vermeiden, dass daraufhin ein flüchtiges Lächeln über seine Lippen huschte. Er fühlte sich toll an, etwas Gutes getan zu haben und Alex helfen zu können. Am liebsten hätte er dem Blonden die frohe Botschaft sofort mitgeteilt, doch dafür war aktuell nicht der passendste Zeitpunkt. Deshalb beließ er es bei seiner inneren Freude und der großen Hoffnung, mit dieser Lösung für Alex’ größtes Problem, das letzte Hindernis eines möglichen Zusammenkommens beseitigt zu haben.
„Ich werd’ dann jetzt gehen“, sagte Ben schließlich und deutete dabei mit einer winkenden Geste auf die Tür. „Ich danke dir trotzdem für die Gastfreundschaft der letzten Wochen und für all das, was ich von dir lernen durfte.“
Jo nickte kaum sichtbar. Im Ganzen wirkte er etwas benommen.
„Also dann ...“, verabschiedete sich Ben und ging dabei bereits ein paar Schritte rückwärts. „Alles Gute!“
Doch Jo erwiderte nichts mehr. Er hatte seinen Blick gesenkt und wirkte geistig abwesend. Nach ein paar weiteren Sekunden wandte er sich dann um und begann erneut aus dem Fenster zu starren, während er das auf der Fensterbank liegende Geld mit seinen Händen zusammenschob.
Ben beobachtete ihn noch einen kurzen Moment, bevor auch er sich umdrehte und das Zimmer schließlich verließ. Während er den Flur durchquerte, stopfte er sein Handy in seine Hosentasche.
Im Eingangsbereich angekommen griff er nach seiner Jacke und zog sich seine Schuhe an. Sein Paar Joggingschuhe stopfte er noch schnell zu seinen anderen Sachen in die Reisetasche. Dann nahm er die Tasche und seinen Laptop und trat zur Tür. Dort blieb er einen weiteren Moment stehen und blickte sich noch einmal nachdenklich um. Es war ein seltsames Gefühl, die vertraut gewordene Umgebung so plötzlich zu verlassen. Es fühlte sich nicht an, als ob er damit nur irgendein Praktikum hinter sich ließ, sondern als ob er sich mit seinem Auszug von einem bedeutenden Lebensabschnitt verabschieden müsste. Er seufzte leise auf und versuchte die aufkommende Sentimentalität zu unterdrücken. Dann öffnete er die Tür und ging nach draußen. Er stapfte durch den Schnee, entriegelte seinen Wagen per Funk und öffnete seinen Kofferraum. Er warf seine Tasche hinein und legte seinen Laptop vorsichtig daneben. Daraufhin warf er die Kofferraumklappe kräftig wieder zu und schritt zur Fahrertür, um sie zu öffnen und auf seinen Sitz zu klettern. Gleich darauf zog er die Tür zu und steckte den Autoschlüssel in die Zündung. Er schnallte sich an, startete den Motor und drehte das Radio auf. Dann spähte er noch einmal nach draußen in Richtung der Villa. Erst in diesem Moment konnte er Alex an einem Fenster der oberen Etage stehen sehen.
Im Radio lief gerade ein Song von Muse. Ben drehte die Lautstärke höher und begann dem Text zu horchen, während er zu Alex aufblickte. Der Inhalt des Liedes spiegelte seine gegenwärtige Situation und seine Gefühlswelt nahezu perfekt wider.
I know you’ve suffered
But I don’t want you to hide
It’s cold and loveless
I won’t let you be denied
Soothing
I’ll make you feel pure
Trust me
You can’t be sure
Alex sah gekränkt aus. Gerade so, als ob er tatsächlich unter Bens Auszug leiden würde. Ben bemühte sich und versuchte, die Mimik des Blonden genauer zu analysieren. Dabei trafen sich ihre Blicke.
I want to reconcile, the violence in your heart
I want to recognize, your beauty’s not just a mask
I want to exorcise, the demons from your past
I want to satisfy, the undisclosed desires in your heart
Sie sahen sich an, als ob sie durch den jeweils anderen hindurch schauen wollten. Ben spürte dabei eine Sehnsucht in sich aufsteigen. Zwar wollte er aus der Villa verschwinden, aber gleichzeitig in Alex’ Nähe bleiben. Es fühlte sich falsch an, nun im Auto zu sitzen und kein weiteres Wort mehr mit dem Blonden wechseln zu können. Dennoch erschien ihm sein Auszug als einzig richtige Entscheidung, damit Alex zur Ruhe kommen
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