Wintermond (German Edition)
weiteres Mal in Richtung der Fensterbank, auf welcher der zusammengefaltete Brief des Blonden lag.
„Wann kommst du denn wieder?“, fragte er Alex und bemühte sich, nicht allzu forschend zu klingen.
„Ich weiß nicht“, erwiderte der Blonde, während er den Reißverschluss seiner schwarzen Jacke zuzog.
„Aber du kommst wieder?“, fragte Ben unsicher weiter.
Daraufhin warf Alex ihm einen vielsagenden Blick zu, der sich unverkennbar auf das eben angesprochene Vertrauen bezog.
„Tschuldige ...“, tat Ben deshalb schnell ab.
„Der Brief ...“, sagte Alex dann und nickte kurz in die Richtung des besagten Gegenstands. „Wie gesagt, du solltest ihn eigentlich erst später finden. Lies ihn bitte in Ruhe und erst dann, wenn ich schon ’ne Weile weg bin! Okay?“
„Okay“, gab Ben nickend zurück.
„Und schieb’ bitte nicht wieder so ’ne Panik!“, sagte der Blonde und grinste dabei spöttisch. „Ich werd’ keinen Rückzieher mehr machen. Darauf kannst du dich verlassen.“
Ben nickte gedankenverloren. Alex’ Verhalten war nicht nur sonderbar, sondern auch sehr rätselhaft. Er wüsste zu gern, was der Blonde vorhatte, wusste aber, dass er sich noch etwas gedulden musste, um die Antworten auf seine vielen Fragen zu erhalten.
„Danke für’s Frühstück!“, sagte er dann und versuchte damit vom Thema abzulenken.
In jenem Moment schien seine gelassene Reaktion jedoch nicht sonderlich glaubwürdig zu sein. Alex blickte ihn skeptisch an, bevor er sich schließlich abwandte und zur Tür schritt. Dort verharrte er erneut und drehte sein Gesicht noch einmal zu dem Dunkelhaarigen.
„Du bedeutest mir sehr viel, Ben“, sagte er ernst. „Noch vor ein paar Wochen hätte ich niemals geglaubt, dass ich so etwas mal sagen würde, aber ...“, er stockte einen Moment lang und seufzte laut auf. „Du bist das Beste, was mir in meinem bisherigen Leben passiert ist.“
Ben lauschte den persönlichen Worten und konnte seinen Ohren dabei kaum trauen. Alex’ Worte waren Balsam für seine Seele, beruhigten ihn innerlich und jagten ein frisches Kribbeln durch seinen Magen.
Er konnte sein Glück noch immer nicht fassen und mochte kaum glauben, dass Alex sich tatsächlich zu ihm bekannt hatte. Das Ganze war real, glich jedoch mehr einem fernen Traum, aus dem man nicht mehr aufwachen wollte. In den letzten Wochen hatte er viele Facetten des Blonden kennengelernt. Mal war Alex arrogant und herabwürdigend gewesen, mal unsicher und kritisch und manchmal sogar richtig sentimental, wie beispielsweise nach dem Tod seines geliebten Hundes, Sam. All diese Facetten hatte er lieben gelernt, doch nie zuvor jene Seite kennengelernt, die Alex ihm seit gestern offenbarte. Er war freundlich, zuvorkommend, machte ihm Komplimente und scheute keine Berührung. Das war ein Alex, den er bisher nicht gekannt hatte. Er genoss diese neue Art des Blonden, konnte jedoch nicht leugnen, dass er dessen schroffe und arrogante Art dennoch ein wenig vermisste - auch, wenn sie zwischendurch noch etwas durchschimmerte.
Ben blickte Alex an und lächelte verlegen. Er fühlte sich geschmeichelt, wusste aber nichts auf dessen letzte Aussage zu erwidern.
„Bis dann!“, verabschiedete Alex sich und streckte seine Hand nach der Türklinke aus.
„Ich wünsch dir viel Glück!“, erwiderte Ben leise. „Bei was auch immer ...“
„Danke“, gab Alex zurück und pausierte ein paar Sekunden rhetorisch. „Für alles.“
Wieder lächelte er gezwungen. Man konnte ihm förmlich ansehen, dass die Last, die sich hinter seinem kaum merklichen Lächeln verbarg, recht groß sein musste.
Ben nickte nur noch als Antwort und beobachtete daraufhin, wie Alex das Zimmer verließ und die Tür leise hinter sich zuzog.
Dann trat Stille ein. Es war eine bedrückende Stille. Alex’ Verschwinden hatte etwas zurückgelassen, das den Raum nun mit viel Sorge und Wehmut füllte. Ben musste stark schlucken. Sein Blick wanderte wie automatisch zurück zur Fensterbank und dem dort liegenden Brief. Am liebsten wäre er sofort aufgestanden, um ihn zu lesen. Doch stattdessen erinnerte er sich nachdrücklich an Alex’ Bitte zurück, den Brief erst später zu lesen. An diese unausgesprochene Abmachung wollte er sich halten. Also musste er nun etwas Zeit schinden, um das Gefühl von starker Neugierde in sich zu unterdrücken.
Er richtete sich wieder vom Bett auf und hockte sich erneut neben seine umgekippte Tasche. Diese stellte er wieder hin und begann gedankenverloren
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