Wintermond (German Edition)
damit, seine Sachen wieder einzuräumen. Damit tat er etwas für ihn sehr Untypisches. Er war niemand, der gern oder freiwillig aufräumte. Eigentlich scherte er sich nicht einmal um Ordnung oder irgendwelche Systeme. Stattdessen war er sehr chaotisch und fühlte sich inmitten von Unordnung deutlich wohler, als in übertrieben sauberen und aufgeräumten Zimmern, in denen man sich nur davor scheute, irgendetwas zu berühren - aus Angst, irgendwelche Fingerabdrücke auf glänzend polierten Glasflächen zu hinterlassen.
In diesem Moment schien ihm das Aufräumen allerdings eine gut ausgewählte Ablenkung zu sein. Er gab sich sogar richtig Mühe, indem er zerzauste Teile wieder zusammenlegte und erst dann in die Tasche fallen ließ. Dennoch wurde er recht schnell mit der selbst erteilten Aufgabe fertig, rückte seine Tasche daraufhin an die Wand und richtete sich wieder auf. Er hatte nicht das Gefühl, dass Alex schon lange weg war. Also machte er sich auch noch an das große Doppelbett, zog das Laken glatt, klopfte die Kissen aus und legte die Decken zusammen. Als er nach kurzer Zeit auch damit fertig war, ließ er sich wieder auf die Matratze fallen und seufzte laut auf.
Draußen war es noch immer dunkel. Er griff nach seinem Handy und warf einen weiteren Blick auf das Display. Dieses Mal war es kurz vor sieben. Erneut stöhnte er auf, legte das Handy neben sich auf das Bett und schaute sich noch einmal im Zimmer um. Mittlerweile gab es nichts mehr, was er noch tun konnte. Im Gegenteil. Es war so ordentlich um ihn herum geworden, dass dieses Zimmer eigentlich kaum auf seinen Namen laufen konnte. Aufgrund dieses Gedankens musste Ben sogar kurz schmunzeln.
Es war verrückt, wie sehr sich sein Leben innerhalb der letzten Wochen verändert hatte. Er hatte Dinge getan, die er nie zu tun geglaubt hätte und Sachen erlebt, die er bisher nur aus Filmen und Büchern gekannt hatte. Der Aufenthalt in der Villa hatte ihm zwar auch viel neues Wissen für sein Studium beschert, im Grunde jedoch vermehrt dazu beigetragen, sein Leben in eine ganz neue Richtung zu bewegen. Er war endlich über seinen Exfreund hinweggekommen und hatte sich neu verliebt. In jemanden, der nicht nur behauptet hatte, hetero zu sein, sondern sich zudem stets herablassend über Schwule geäußert hatte. Es glich fast einem Wunder, dass dieser jemand sich letztendlich selbst als schwul entpuppt und sich zudem noch in Ben, welcher zuvor nur von ihm verachtet worden war, verliebt hatte.
Nun waren Alex und er tatsächlich ein Paar. Der Gedanke fühlte sich noch recht fremd und eigenartig an. Vor wenigen Tagen wäre eine derartige Konstellation kaum denkbar gewesen. Doch jetzt entsprach seine neue Beziehung der Wirklichkeit und genau das fühlte sich gut an.
Ben musste lächeln. Erst dadurch wurde ihm bewusst, dass er die aktuellen Umstände für wenige Minuten völlig verdrängt hatte. Ein weiterer Blick auf die Fensterbank riss ihn augenblicklich in die Realität zurück. Sofort drangen neue Gedanken in seinen Kopf, darunter Ängste und Sorgen. Alex hatte sich an diesem Morgen sehr seltsam verhalten und immer wieder Dinge angedeutet, die nichts Gutes verheißen konnten.
Jetzt war der Moment gekommen, an dem Ben glaubte, Alex genügend Vorsprung gelassen zu haben. Er wollte den Brief endlich lesen und erfahren, was sich hinter dem fragwürdigen Benehmen des Blonden verbarg. Also stand er wieder vom Bett auf, schritt zur Fensterbank und griff nach dem Zettel. Dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen das Fensterbrett und faltete den Brief vorsichtig auf. Wieder kam ein Gefühl von Angst in ihm auf und das, obwohl Alex ihn deutlich darauf hingewiesen hatte, sich nicht wieder irgendwelche unnötigen Sorgen machen zu müssen. Vielleicht war diese Aussage aber auch nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Ein Mittel, das Ben hatte beruhigen sollen, damit er Alex gehen ließ.
Ben spürte wieder das altbekannte Brennen in seinem Inneren, das dem nervösen Gefühl vor einer wichtigen Prüfung glich. Dennoch versuchte er ruhig zu bleiben und sich innerlich zu sammeln. Er atmete ein letztes Mal tief durch. Erst dann faltete er den Brief schließlich vollständig auf und hielt ihn daraufhin in einem gut lesbaren Abstand vor sein Gesicht. Das erste, was ihm dabei auffiel, war, dass Alex eine relativ schöne Schrift hatte. Sie sah elegant aus und hätte bei gröberem Betrachten eine Schriftart von Word sein können. Das zweite, was ihm auffiel, war, dass Alex eine ganze Menge
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