Wintermond (German Edition)
als ob er jede Mimik und Geste seines Sohnes zu interpretieren versuchte.
„Ich werd’ dich jetzt nicht weiter stören“, sagte Alex dann entschlossen und deutete auf die Tür. „Sam wartet schon.“
Er wandte sich ab und verließ das Arbeitszimmer. Dabei hoffte er, dass seine Worte überzeugend genug gewesen waren, um zukünftig nicht mehr auf das viele Geld angesprochen zu werden. Sam hatte tatsächlich im Flur gewartet. Längs lag er auf den Fliesen und hechelte. Als er sein Herrchen wieder kommen sah, richtete er sich augenblicklich auf und bellte verspielt.
„Lass uns im Wohnzimmer spielen!“, sagte Alex und ging voran in den besagten Raum.
Sam tapste ihm freudig nach. Dort angekommen, griff Alex noch nach einem in der Obstschale auf dem Esstisch liegenden Apfel und ließ sich schließlich auf die Couch sinken. Er zerknautschte den weichen Gummiball in seinen Händen, bevor er ihn geradeaus warf, bedacht darauf, dabei nichts in dem Zimmer versehentlich kaputt zu machen. Sam sprang sofort los und suchte nach dem Ball, während Alex herzhaft in den Apfel biss. Der süß-saure Geschmack ließ ihn kurz schaudern, bevor er sich daran gewöhnte. Sam brachte ihm derweil den Ball zurück, woraufhin Alex ihn erneut warf. Er hielt den Apfel zwischen Zeigefinger und Daumen und drehte ihn nachdenklich, betrachtete die abgebissene Stelle. Wieder einmal begann er tief in Gedanken zu versinken. Ein ungutes Gefühl durchschlich ihn, ein ungewisses Kribbeln, das bis zu seinem Verstand vordrang. Die Typen, denen er das Geld schuldete, hatten ihm gedroht und er fragte sich, ob ihn in den kommenden Tagen tatsächlich etwas Schlimmes erwarten würde. Wie weit würden die Kerle gehen? Vermutlich sehr weit, wenn er daran dachte, wie allein Diego den unschuldigen Studenten zusammengeschlagen hatte.
Alex legte den Apfel erst einmal vor sich auf dem Tisch ab, warf noch einmal Sams Ball und zog dann sein Handy aus der Hosentasche. Er musste Diego anrufen, um endlich herauszufinden, was mit dem Studenten geschehen war. Außerdem wollte er Diego fragen, ob dieser auch von ihrer Tat im Radio gehört hatte. Hastig nahm er das Handy in seine Hände, doch als er auf eine Taste drückte und kurz drauf das Display aufleuchtete, sah er, dass Diego ihm bereits eine SMS geschickt hatte.
Verwundert kratzte Alex sich an den Schläfen. Diego war nicht der Typ für eine SMS. Vielleicht war ja irgendetwas passiert. Aufgeregt öffnete er die Mitteilung und überflog die Zeilen hastig, um daraufhin Folgendes zu lesen:
„ Hey! Die Typen haben meine Wohnung demoliert. Such nicht nach mir! Ich bin erst mal für ne Weile weg. Sicher ist sicher. Diego .“
Alex las die Worte erneut und schließlich auch noch ein drittes Mal. Diego war abgehauen? Alex wüsste zu gern, wohin und warum. Ob es an den ihnen drohenden Typen lag oder viel mehr an dem Einbruch und dem Studenten? Aufgeregt wählte er Diegos Telefonnummer und rief ihn an, presste das Handy dabei gespannt gegen sein Ohr. Doch jegliche Spannung wich augenblicklich aus ihm, als lediglich die Mailbox des Italieners antwortete.
„So ne Scheiße ...“, murmelte Alex.
Angestrengt betrachtete er das Handy in seinen Händen, als ob das bloße Anstarren ihn auf eine bessere Idee bringen würde. Doch es tat sich nichts, also stopfte er es zurück in seine Hosentasche. Er griff wieder nach seinem Apfel, dessen Fruchtfleisch sich an der Abbissstelle schon leicht bräunlich verfärbt hatte, nahm seine Beine hoch und legte sich schließlich auf die Couch. Seinen noch freien Arm verschränkte er unter dem Kopf. Sam saß neben der Couch und blickte ihn fragend an.
„Ich brauch’ ’ne Pause, mein Dicker“, sagte Alex daraufhin und wuschelte ihm noch einmal durchs Fell, bevor er erneut in das Stück Obst biss.
Er versuchte intensiv nachzudenken, obwohl er schon vorab wusste, dass er zu keiner Lösung kommen würde. Irgendwie musste er an die 40.000 Euro kommen und zwar schnell. Die Typen, denen er dieses Geld schuldete, waren unberechenbar und unzurechnungsfähig. Immer wieder spekulierte er, seinen Vater ein weiteres Mal um das Geld zu bitten, doch war es dafür derweilen vermutlich zu spät. Erst vor wenigen Minuten hatte er seinem Vater deutlich gemacht, dass er kein Geld mehr brauchte. Das gedankliche Chaos in seinem Kopf nahm eine immense Größe an und das konzentrierte Nachdenken benebelte ihn, machte ihn müde. Er spürte, wie seine Augen immer wieder zufielen und er sich zwanghaft
Weitere Kostenlose Bücher