Wintermond (German Edition)
schaffen können, noch vor Alex zu reagieren. Von hinten schlang er einen Arm um den fremden Hals und presste den Lauf der Pistole fest gegen die rechte Schläfe des anderen.
Der Fremde war augenblicklich erstarrt und hatte die Taschenlampe fallen lassen, dessen Licht nun eine lange Linie über den Schnee zog.
„Nicht bewegen!“, zischte Alex bedrohlich. „Oder ich drück’ ab!“
Eine kurze Stille trat ein, die jedoch so intensiv war, dass Alex für einen Moment lang glaubte, er wäre taub. Erst dann regte sich die Person vor ihm. Sofort drückte er den Lauf noch fester gegen dessen Kopf.
„Scheiße, Alex“, hörte er dann vor sich. „Ich bin’s, Ben.“
Alex erstarrte. In seinem Körper machte sich neben einer Welle der Erleichterung ein Gefühl von Unglaubwürdigkeit breit. Ein unangenehmes Brennen durchzog ihn, das dem ähnelte, was er gespürt hatte, als Diego den Studenten zusammengeschlagen hatte.
Alex konnte nichts sagen. Irritiert nahm er seine Waffe herunter und starrte wie gebannt auf Bens Rücken. Dieser drehte sich daraufhin um und zog die Kapuze von seinem Kopf. Es war tatsächlich Ben. Diese erneute Gewissheit machte das Brennen in Alex’ Blut fast unerträglich. Er spürte die Pistole in seiner Hand und atmete schwer, bevor er fragte: „Was machst du hier?“
Ben lachte daraufhin entsetzt auf.
„ Was ich hier mache? “, wiederholte er Alex’ Frage. „Alex, warum zum Teufel hast du ’ne Knarre?“
Alex starrte hilflos in die Augen seines Gegenübers. Er fühlte sich unwohl, peinlich und ertappt. Erst in jenem Moment spürte er die eisige Kälte durch sein offenes Hemd. Sein Oberkörper schien beinahe unterkühlt zu sein. Die nasse Schwimmshorts hatte seine Jeans durchtränkt und dieser daraus resultierende Fleck fühlte sich kalt und widerlich an. Nasse, verklebte Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht.
„Du hast sie echt nicht mehr alle“, hörte er Ben ungläubig sagen. „Mann, du hättest mich erschießen können.“
Alex brachte zunächst kein Wort zustande. Wie versteinert stand er da und blickte Ben unsicher an. Er dachte nicht einmal über irgendetwas nach und, warum auch immer, war es das erste Mal, - in dieser völlig absurden Situation - dass er Ben sympathisch fand.
„Es tut mir leid“, sagte er dann ruhig, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben.
„Eine Entschuldigung aus deinem Mund?“, erwiderte Ben kopfschüttelnd. „Ich glaub’, du bist schizophren oder einfach nur verrückt.“
Alex legte seine Stirn in Falten.
„Nein, es tut mir wirklich leid“, wiederholte er sich noch einmal etwas deutlicher und wieder selbstbewusster klingend. „Das hätte echt schief gehen können.“
„Als ob dir das was ausmachen würde“, entgegnete Ben.
Alex schwieg daraufhin.
„Ich nehm’ die Entschuldigung an, wenn du mir erklärst, warum du ’ne verdammte Knarre hast“, sagte Ben und nickte in Richtung des gemeinten Objektes in Alex’ Hand.
„Das kann ich nicht“, erwiderte Alex und begann vergeblich in seinem Hemd nach Zigaretten zu suchen. Eine nervöse Geste, die ihn nur umso mehr durcheinander brachte. Ben schien zu erkennen, wonach Alex suchte und nickte in Richtung des Gartentisches. Dort lag eine noch geschlossene, leicht durchnässte Packung. Alex musste sie irgendwann einmal flüchtig dort abgelegt haben. Er ging dorthin, legte die Pistole ab und griff nach den Zigaretten. Nervös fummelte er die Folie ab und riss das silberne Papier aus dem Inneren. Vollkommen nervös stopfte er sich eine Zigarette in den Mund und suchte daraufhin nach Feuer. Doch er fand keines. Schon wieder schien Ben zu verstehen und schritt mit einem Feuerzeug auf ihn zu, hielt es ihm entgegen und wollte ihm Feuer geben. Irritiert stolperte Alex einen Schritt nach hinten.
„Keine Angst“, sagte Ben daraufhin ernst. „Schwul sein ist keine ansteckende Krankheit.“
Alex blickte dem Dunkelhaarigen skeptisch in die Augen. Er verstand nicht, warum Ben sich ihm gegenüber trotz allem, was vorgefallen war, immer derart freundlich benahm. Dennoch ignorierte er Bens letzten Kommentar, beugte sich vor und nahm das Feuer an. Dann zog er kräftig an seiner Zigarette, schloss dabei für einen Moment die Augen, um die Erleichterung noch einmal in sich aufkommen zu spüren. Doch gleich darauf erinnerte er sich an sein Vorhaben, mit dem Rauchen aufhören zu wollen, nahm die Zigarette deshalb wieder aus dem Mund und ließ sie unachtsam in den Schnee fallen. Ben musterte ihn daraufhin
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