Wintermond (German Edition)
zog sie hastig an. Im Vorbeigehen griff er noch nach seiner Jacke, dem Schlüssel und einem Hundespielzeug und nahm all die Dinge mit nach draußen. Leise zog er die Haustür hinter sich zu, als ob er damit verhindern wollte, von Jo oder Ben gehört zu werden. Dann ging er mit Sam an seiner Seite in den Garten, blickte dabei immer wieder zu dem Schäferhund herunter. Im verschneiten Garten angekommen, zog er sich die Jacke über und lehnte sich gegen die Hauswand. Viele Spuren zogen sich bereits durch den Schnee, der den Rasen bedeckte. Alex konnte neben seinen auch die Schuhabdrücke von Ben erkennen und dazwischen lauter Pfotenstapfen von Sam.
„Dann tob dich mal aus, Dicker!“, forderte Alex Sam auf und warf einen schon leicht zerkauten Gummiknochen in den hinteren Teil des Gartens.
Sam sprintete sofort los und jagte dem geworfenen Gegenstand nach. Alex beobachtete ihn nachdenklich. Noch immer konnte er nicht glauben, dass sein Vater Ben die Kombination für den Safe genannt hatte. Er hatte sich noch nie dermaßen hintergangen und ausgegrenzt gefühlt wie in jenem Moment. Es waren gerade einmal zwei Wochen vergangen, in denen Ben in der Villa war. Zwei Wochen, die offenbar genügten, um eine derartige Vertrauensbasis zwischen ihm und Jo zu schaffen, wie sie noch nicht einmal innerhalb vieler Jahre zwischen Alex und seinem Vater entstanden war.
Sam kam stolz auf ihn zugelaufen. In seinem Maul klemmte das rote Spielzeug, das er schließlich vor Alex’ Füßen in den weichen Schnee fallen ließ.
„Ich bin echt enttäuscht und wütend“, sagte Alex und blickte Sam dabei an, als ob er eine Erwiderung erwartete. Doch das einzige, was der Hund tat, war, seinen Kopf schief zu legen und einen fiependen Laut von sich zu geben.
„Ich fühl’ mich richtig verarscht“, fügte Alex hinzu.
Sams Blick spiegelte Unsicherheit und Skepsis wieder.
„Du hast es echt leicht, weißt du?“, sagte Alex daraufhin. „Du musst dir um nichts Gedanken machen, lebst einfach so in den Tag hinein ...“
Sam hob seinen Kopf leicht und bellte einmal laut, woraufhin Alex leise lachen musste.
„Ja“, sagte er dann, beugte sich vor und klopfte Sam sachte aufs Fell, „du bist immer noch mein Bester.“
Auf diese Aussage hin bellte Sam erneut, als ob er Alex’ Worte damit bekräftigen wollte. Der Blonde hob das Spielzeug auf und warf es erneut in den Garten. Sam sprang sofort hinterher. Dann lehnte Alex sich zurück an die Wand und starrte ausdruckslos ins Leere. Wieder musste er an Diegos Idee denken. Seine aktuelle Gefühlslage ließ ihn schließlich auf Diegos Worte eingehen und intensiver über die mögliche Lösung seines Geldproblems nachdenken. Irgendwie passte alles zusammen und wirkte dabei fast wie ein schicksalhaftes Zeichen. Vielleicht war es ja gut so, dass sein Vater Ben den Code genannt hatte. Würde Alex sich nun dafür entscheiden, Diegos Vorschlag nachzugehen und folglich etwas stehlen, um diese Tat daraufhin Ben anzuhängen, war genau dessen Kennen des Codes eine optimale Voraussetzung dafür. Alex würde etwas aus dem Safe nehmen können und die Schuld würde wie von selbst auf Ben fallen, denn in den Augen seines Vaters kannte Alex die geheime Kombination des Safes nicht. Doch Alex war sich unsicher darüber, ob er zu etwas Derartigem in der Lage war. Es war verlockend, dass er mit diesem Handeln nicht nur seine Schulden sondern auch - wie Diego es bereits erwähnt hatte - Ben los wäre. Ein Schwuler, der ständig in sein Inneres zu blicken versuchte und ganz offensichtlich was von ihm wollte. Der Kuss am Vorabend war womöglich erst der Anfang eines Versuches gewesen, Alex mit in die ganze Schwulenszene zu ziehen. Doch Alex war nicht schwul und wollte sich auch nicht länger in dieser Hinsicht bedrängen lassen. Er atmete tief durch und fügte das Gedachte noch einmal zusammen: Würde er das tun, wozu Diego ihn inspiriert hatte, wäre er neben seinen Schulden auch noch eine lästige Person los, die sich immer weiter in sein Leben drängte und ihn dabei völlig durcheinander brachte. Dieses Chaos war etwas, das Alex in seinem Leben einfach nicht gebrauchen konnte.
Doch so sehr er sich seine Argumente auch einredete, war da noch etwas anderes in ihm. Es war sein schlechtes Gewissen, das sich bereits in ihm ausbreitete, bevor er den Gedanken überhaupt vollendet oder irgendetwas Handfestes gegen Ben geplant hatte. Es war ein Gefühl, das ihn von innen heraus zerfraß und ihn davon abzuhalten versuchte, Ben
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