Wintermond (German Edition)
Chaos, das er jedoch später beseitigen wollte. Auch seine Tasche hatte er noch nicht ausgepackt. Sein Bett zu machen hielt er seit Jahren für unnötig, wenn er sich doch am Abend eh wieder dort hineinlegen würde. Da er jedoch keinen schlechten Eindruck bei Jo hinterlassen wollte, strich er die Decke einigermaßen glatt und klopfte einmal auf das Kopfkissen. Daraufhin nickte er zufrieden und wühlte in seinem geöffneten Gepäck nach frischer Kleidung. Er angelte nach einer schwarzen, engen Jeans und einem dunkelgrünen Cardigan. Sein Waschzeug hatte er bereits am frühen Morgen im Bad gelassen.
Er trat zurück in den Flur und verschwand schließlich im großen Bad. Dort legte er die frische Kleidung auf den Badewannenrand und drehte den Duschhahn an, um das Wasser warm werden zu lassen. Das hell geflieste Bad hatte neben der Toilette, der Eckbadewanne und der großen Dusche zwei gleichhohe Waschbecken. Über ihnen zog sich ein breiter Spiegel entlang, der den Raum noch größer wirken ließ. Das Fenster im Bad offenbarte den Blick auf die Elbe.
Ben befreite sich aus seiner Sporthose und trat vorsichtig unter die Dusche. Die Wassertemperatur war genau richtig. Er schob die gläserne Tür zu und begann damit, sich den Schweiß vom Körper zu waschen. Während er seine Haare einschäumte, musste er wieder an seinen Exfreund, Nick, denken. Wie oft hatten die beiden zusammen geduscht und dabei eine Menge Spaß gehabt? Ben schnaubte sich etwas Wasser aus der Nase. Er vermisste Nick. Selbst sein Aufenthalt in Hamburg schien bislang nichts daran zu ändern. Umso mehr hoffte er, möglichst bald ein paar Aufgaben von Jo zu erhalten, um besser abgelenkt zu sein.
Nachdem er sich die Haare ausgespült hatte, verließ er die Dusche, rubbelte sich flüchtig trocken und schlang sich in das flauschige Handtuch. Er trat zum Waschbecken, wischte grob über den beschlagenen Spiegel und betrachtete sich nachdenklich.
Was hatte Nick bloß mit einem Mal nicht mehr an ihm gefallen? Die dunklen Augen inspizierten sein gespiegeltes Gegenüber. Er sah aus wie immer: Ein Dreitagebart und dazwischen vereinzelte Sommersprossen.
Ben seufzte, wie er es immer tat, wenn er Gedanken in seinem Kopf abschließen wollte, um sich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren. Er griff nach seinen bereit gelegten Sachen und suchte nach seiner Boxershorts. Da er sie nicht fand, lag es nahe, dass er sie in seinem Zimmer vergessen haben musste.
Genervt stöhnte er auf, band sich das weiße Handtuch um die Hüften, klemmte die übrige Kleidung unter seinen Arm und verließ das Badezimmer wieder. Er war gerade erst ein paar Schritte gegangen, als unmittelbar vor ihm die Tür, aus der vorhin der penetrante Parfümgeruch gezogen war, aufsprang und Alex heraustrat. Ben schwieg, sah nur, wie Alex ihn abschätzend musterte, bevor er sich grob an Ben vorbei drängelte.
„Was ist eigentlich dein Problem?“, sprudelte es plötzlich ungewollt aus Ben heraus.
Alex war bereits die ersten Treppenstufen hinab geschritten, blieb auf Bens Frage hin jedoch mit zu ihm gekehrten Rücken stehen.
„Mein Problem?“, wiederholte er Bens Worte fragend.
„Ja, genau“, entgegnete Ben, „du hast offenbar eins mit mir und ich wüsste nun mal gern, warum.“
Alex lachte höhnisch auf und blickte daraufhin abfällig zu Ben hinauf.
„Ich hab’ kein Problem mit dir. Du bist mein Problem“, waren seine arroganten Worte, bevor er die restliche Treppe hinab stolzierte und aus Bens Blickfeld verschwand.
Ben verdrehte die Augen, ging dann in sein Zimmer, zog sich hastig an und machte sich schließlich auf den Weg zu Jos Arbeitszimmer. Dort hatten sich die beiden um elf Uhr verabredet. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass er pünktlich war.
Er klopfte an die weiße Tür, horchte nach einem „Herein!“ von Jo und trat schließlich ein.
Der grauhaarige Mann saß mit einer Brille im Gesicht vor seinem Laptop an einem massiven Holzschreibtisch, der mit seinen vielen Verschnörkelungen und überpolierten Kratzern nach einem Erbstück aussah. Hinter ihm reihten sich Bücherregale, dessen tragende Bretter sich vom Gewicht der Wälzer schon leicht verbogen. Auf der anderen Zimmerseite stand zwischen einer weinroten Couch und einem grauen Sessel ein schwarzer Granittisch, auf dem einiges an Kram lag.
„Setz dich doch!“, bat Jo und deutete auf einen weiteren Schreibtischstuhl neben sich.
Ben merkte, dass Jo gestresst wirkte und wusste nicht, ob es an dessen Arbeit
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