Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
Samstagvormittag verwandelte sich dieses öffentliche Brachland in ein Spektakel. Plötzlich wurde einem bewusst, dass in dieser Stadt tatsächlich auch Kinder lebten, und nicht nur Erwachsene unter Zeitdruck. Leger gekleidete Familien mit prallgefüllten Leinenbeuteln streiften umher auf der Suche nach einem weiteren Leckerbissen fürs Wochenende. Eifrig wirkende Männer im besten Alter hielten Einkauflisten für ihr Viergängemenü in den Händen, während Haushälterinnen zwischen den routinierten Bestellungen, die sie aufgaben, ein Schwätzchen mit der Obstverkäuferin hielten. Hier kauften Studenten genauso gern ein wie einige Köche aus den besseren Restaurants, die ihre Speisekarten mit regionalen Leckereien aufhübschten.
    Auf diesem Markt konnte man einfach alles kaufen, allein die Vielzahl der Tomatensorten am Gemüsestand fesselte Metas Aufmerksamkeit mehr als so manches Werk in ihrer Galerie. Sie konnte es kaum glauben, dass sie jahrelang Tür an Tür mit diesem kulinarischen Wunder gelebt hatte, ohne je dort gewesen zu sein. Glücklich über die vielfältigen Eindrücke kaufte sie sich eine Tüte gebrannte Mandeln und stellte sich ein wenig abseits neben einen exotisch anmutenden Tee- und Gewürzstand.
    Mit David hatte sie keinen festen Treffpunkt auf dem Markt ausgemacht, nur eine ungefähre Zeit.Trotzdem machte Meta sich keine Sorgen darum, dass er sie in diesem Getümmel nicht finden würde. Er verfügte über die sonderbare Gabe, sie jederzeit auflesen zu können. Sie hatte sogar einen Witz darüber gemacht, dass es eigentlich an ihr wäre, wie ein Spürhund seiner fantastisch riechenden Duftspur zu folgen. Aber zu ihrem Erstaunen hatte er die Anspielung nicht besonders amüsant gefunden, sondern bloß mit erstarrtem Gesicht an ihr vorbeigesehen. Da es so gar nicht zu David passte, sie gegen eine Wand laufen zu lassen, war sie zu verblüfft gewesen, um dem auf den Grund zu gehen.
    Mittlerweile ging es auf Mittag zu. Obwohl es eine Zeit lang ganz danach ausgesehen hatte, als ob die Wolkendecke aufreißen und die Sonne ihr bleiches Novemberlicht verströmen würde, hatte es sich stattdessen weiter bezogen. Nun hing ein bleifarbenes Wolkenband am Himmel, was der belebten Atmosphäre auf dem Markt jedoch keinen Abbruch tat. Die sich rasch ausbreitende Kälte, der ein leichter Frostgeruch anhaftete, schien die gute Stimmung sogar zu verstärken.
    Während Meta darüber nachdachte, woraus wohl dieser leckere Überzug auf den Mandeln gemacht wurde - eine Spur von Zimt, da war sie sich sicher -, stand David auf einmal vor ihr und griff auch schon in die Tüte.
    »Unverschämter Mensch«, sagte Meta und versteckte die Mandeln hinter ihrem Rücken.
    David grinste und ließ kurz den rötlichen Kern zwischen  seinen Zähnen aufblitzen. »Möchtest du sie zurückhaben?«, fragte er herausfordernd, als er sie in die Arme nahm.
    Wie sich herausstellte, hatte David einem der Stände bereits einen Besuch abgestattet, und ließ Meta nun raten, was er eingekauft hatte. Sie hatte sich bei ihm eingehakt, und unbekümmert schlenderten sie durch die vollen Gänge. David war direkt von der Arbeit an der alten Stadtvilla, von der er allzu gern schwärmte, zum Markt gekommen und trug immer noch seine staubige Arbeitshose. Obwohl er sich die Hände gründlich geschrubbt hatte, fanden sich schwarze Schlieren auf der Haut. Offensichtlich hatte er in den frühen Morgenstunden, als er aufgebrochen war, keine Lust gehabt, sich zu rasieren, und der dunkle Bartschatten verlieh ihm etwas Verwegenes. Ganz gleich, wie wüst er aussehen mochte, Meta konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als neben ihm herzuspazieren. Sie verspürte sogar einen Anflug von Stolz, während David sie mit seiner ruhigen Stimme erneut dazu drängte, einen Tipp abzugeben.
    »Okay, noch einmal. Aber dann habe ich die Nase von der Raterei voll«, erklärte Meta. »Du warst am Fischstand, richtig? Oh, gut. Barbe,Thunfisch, Karpfen, Aal... nein.«
    Bevor Meta ein entnervtes Schnaufen von sich geben konnte, öffnete David den Beutel und ließ sie einen Blick hineinwerfen: Ein wildes Durcheinander aus Fühlern und Panzern wuselte da herum. Meta wurde schwindelig. »Die leben ja noch.« Ihre Stimme war tonlos.
    »Ja, aber nicht mehr lange«, erklärte David. Er stupste Meta leicht an, woraufhin diese sich kräftig schüttelte.
    »Wenn du glaubst, in meiner Wohnung einen Massenmord begehen zu können, dann hast du dich getäuscht. Die lassen wir drüben beim Fluss

Weitere Kostenlose Bücher