Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
dass sich nur die Schwachen verführen lassen. Schließlich hast du dich widersetzt«, hielt Nathanel ruhig dagegen.
    Bei diesen Worten senkte David den Blick. Das Schuldgefühl, das er seit seiner Zeit mit Convinius unter einem Mantel der Gleichgültigkeit versteckt hatte, war grausamer als die Wut und Enttäuschung, die Nathanels Entscheidungen in ihm weckten. Er klemmte seine zitternden Hände unter die Oberarme und drängte die furchtbaren Bilder aus seiner Vergangenheit von sich, die unwillkürlich aufflackerten. Bilder von zerrissenen Frauenleichnamen, ausgeblutetes Fleisch von einer grauen Farbe. Zurückgelassen in den Wäldern, in denen Convinius und er gelebt hatten. Er hatte sie gefunden und geschwiegen.
    »Es steht mir nicht zu, dich zu verurteilen«, sagte er leise. »Schließlich habe ich mich in der Vergangenheit selbst mit meinem Ausharren schuldig gemacht.«
    Eine Zeit lang standen die Worte im Raum, dann setzte Nathanel langsam zum Sprechen an: »Du spielst auf die Opfer an, die du während deiner letzten Wochen mit Convinius gefunden hast, nicht wahr?« Davids betretenes Schweigen als Zustimmung nehmend, nickte Nathanel. »Wenn du vor Hagen stehst, solltest du ihn danach fragen. Aber wenn du ein schlauer Junge bist, wirst du nach dem, was du eben erfahren hast, wohl von allein auf die Lösung kommen. Du hast selbst gesagt, dass Hagen falschspielt.«
    Bevor David sich dessen bewusst war, hatte er auch schon einen Schritt auf Nathanel zugemacht. »Du weißt von den Opfern?«
    »Ja, aber ich habe schon zu viel Zeit mit Reden verbracht. Die Sache drängt, und wir müssen zusehen, dass du Hagen gewachsen bist, wenn du ihm gegenübertrittst. Wir müssen etwas für deinen Wolf tun.«
    Einen Moment lang spielte David noch mit dem Gedanken, den älteren Mann zu bedrängen, aber ein Blick auf Nathanels verschlossenes Gesicht verriet ihm, dass er sich nicht überreden lassen würde. »Hagen kann mich mal kreuzweise. Behalt dein Geheimnis für dich, ich gehe jetzt zu Meta.«
    »Kannst du das wirklich, einfach so gehen?« Wie Nathanel so am Boden kauerte, ähnelte er plötzlich einem Raubtier, das sich nahe genug an seine Beute herangeschlichen hatte und nun bloß noch auf den richtigen Zeitpunkt wartete, um zuzuschlagen. »Seit Convinius’Tod und deiner Ankunft in unserem Rudel ist Hagen zunehmend außer Kontrolle.Was glaubst  du, warum er so aggressiv sein Revier ausweiten will? Die Menschenjagd befriedigt ihn nicht mehr, er will Wölfe jagen. Was sag ich, jagen? Er will morden. Maggies Rudel wird als Erstes für seine Befriedigung bluten müssen. Kannst du das wirklich zulassen?«
    Fluchend lief David einige Schritte auf und ab, unschlüssig, was er lieber täte: die Treppe hinabstürzen und zu Meta laufen, keinen einzigen Gedanken mehr an die Welt der Wölfe verschwenden. Oder Nathanel den Hals umdrehen, weil er ihn vor solch eine schreckliche Wahl stellte.
    »Ich werde dir helfen, das Richtige zu tun«, sagte Nathanel, während er mühsam zum Stehen kam.
    »Sei still«, knurrte David. Aber schon im nächsten Augenblick durchfuhr ein Aufprall seinen Körper, der ihn von den Füßen riss. Nathanels Wolf hatte ihn angegriffen, und dieses Mal war es keine Drohgebärde.Während sich von seiner Brust aus rasant ein Feuer ausbreitete, das seine Lungen zu versengen drohte, schlitterte er einige Schritte weit über den rissigen Boden und knallte gegen die Dachschräge. Sein Hinterkopf schlug gegen einen Balken, und plötzlich war alles in ein grellweißes Licht getaucht. Kaum wissend, wo oben und unten war, versuchte David, auf alle viere zu kommen, was ihm auch schließlich gelang. Er schüttelte den Kopf, bis das weiße Flackern verschwand.
    Als er die Augen aufschlug, blickte er durch grauen Nebel zu Nathanel, der sich für den nächsten Angriff bereitmachte. Die eben noch vor Erschöpfung unwilligen Glieder des Mannes zeugten nun von einer Vitalität, die vom Dämon geborgt war, nachdem sein Wolf wieder zu ihm zurückgekehrt war.
    »Nein«, sagte David leise und versuchte, sich emporzustemmen, doch da preschte Nathanel auch schon nach vorn. Gemeinsam stürzten sie zu Boden.
    Davids Wolf versuchte, mit aller Gewalt hervorzubrechen,  den Angreifer abzuwehren, aber David hielt ihn im Zaum. Obwohl Nathanels kräftiger Wolf seinen Körper vor Schmerz erbeben ließ, wollte er den von Krankheit und Alter geschwächten Mann auf keinen Fall verletzen. Nathanel rang ihn nieder und drückte ihm mit dem Unterarm die Luft

Weitere Kostenlose Bücher