Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
Beweis für ihre Freundschaft, doch der blondhaarige Mann wich zurück.
    »Das ist keine Antwort auf meine Frage«, beharrte er. Convinius zwang sich, Hagens Blick zu erwidern, aber sein bebender Kiefer verriet, dass er die Antwort sehr wohl verstanden hatte.
    »Convinius …«, setzte Hagen an, doch da wandte sich sein Freund schon ab. Er ging, und Nathanel konnte mit jeder Faser seines Leibes spüren, wie Hagen vollerVerzweiflung und Wut nach ihm rief. Er bekam keine Antwort.
     Die Erinnerungen zerflossen langsam zu einem grauen Tuch, das Davids gesamtes Blickfeld ausfüllte, bis es vor seinem inneren Auge zerriss. Er fand sich auf dem Speicher wieder, von Angesicht zu Angesicht mit Nathanel. Die Lider des älteren Mannes waren immer noch geschlossen, als schliefe er, aber David spürte, dass Nathanel ihm lediglich die Zeit zugestand, das eben Gesehene zu bewältigen.Tatsächlich fühlte sich David benommen, als hätte ihn jemand komplett zerlegt und anschließend falsch zusammengesetzt. Auch sein Zeitgefühl wollte sich nicht wieder einstellen. Er vermochte nicht zu sagen, wie lange seine Reise in die Vergangenheit gedauert hatte. Er wusste ja nicht einmal, wie lange er nun schon vor Nathanel hockte und ihn anstarrte.
    Beklommen stellte David fest, dass er mit beiden Händen  Nathanels Oberarme umklammert hielt, als verlöre er sonst das Gleichgewicht. Es brauchte ein erstaunliches Maß an Konzentration, um die Finger zu lösen, denn sie waren wie erstarrt. Dann sah David zu, dass er ein paar Schritte Abstand zwischen sie beide brachte. Mit den Händen rieb er sich übers Gesicht, die Haut ungeahnt kühl, die Lippen ausgetrocknet. Als er wieder aufblickte, hatte Nathanel die Augen aufgeschlagen und musterte ihn nachdenklich.
    »Ihr hättet Hagen töten müssen«, sagte David, die Stimme seltsam tonlos, als wäre ein Teil von ihm noch nicht aus der Vergangenheit zurückgekehrt. Dabei konnte er kaum fassen, wovon er soeben Zeuge geworden war. »Hagen hat seinen Rang durch Betrug erschlichen. Ohne Convinius’ Hilfe wäre er niemals mit Piroschka fertiggeworden. Das verdammte Rudel hat zugelassen, dass ein blutrünstiger Lügner sich zum Anführer aufschwingt.«
    Nathanel nickte zustimmend, sah jedoch nicht im Geringsten zerknirscht aus. Stattdessen strahlte er eine Würde aus, von der David nicht begreifen konnte, woraus sie sich speiste - nach alldem, was Nathanel gerade preisgegeben hatte.
    »Heute sehe ich das auch so, aber damals glaubte ich, dass es ausreicht, den amtierenden Anführer auszustechen. Das Wie erschien mir zweitrangig. Ich habe mich geirrt.« Eine graue Haarsträhne hing Nathanel ins Gesicht, und obwohl sie seine Oberlippe streifte, schien er sie nicht zu bemerken. Aufmerksam behielt er David im Auge, der immer noch sein Gesicht betastete. »Dennoch ist Hagen kein Dummkopf. Was immer in ihm an kranken Bedürfnissen gärt, er hat es lange Zeit unter Kontrolle gehalten. Man kann ohne weiteres sagen, dass er in den ersten Jahren einen ganz passablen Anführer abgab - zumindest hielt er das Rudel zusammen. Außerdem spielte ihm der Lauf der Geschichte in die Hände: Die neuen Wirtschaftsbranchen schwemmten wieder Menschen in die Stadt,  die Viertel füllten sich, das Revier erwachte zu neuem Leben. Das Rudel wuchs und gedieh - es gab keinen Grund mehr, seinen Rang anzuzweifeln. Dann ist etwas geschehen, vor ein paar Jahren … Ganz schleichend begann Hagen, seine alten Interessen wieder aufleben zu lassen, als niemand mehr so genau hinschaute. Dass sich der Anführer eines stets größer werdenden Rudels nach mehr Macht sehnte, wagte niemand infrage zu stellen. Und wenn es doch jemand tat … Nun, es ist ihm ja auch gelungen, ausreichend Gleichgesinnte um sich scharren.«
    »Ach komm, Nathanel. Es ist doch nicht so, als ob du diesen Blutzoll verweigert hättest. Das Rudel geht bei dir immer vor, was?« Davids Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn, und nur knapp konnte er dem Wunsch widerstehen, auf das Dachgebälk einzuschlagen. »All die Menschen, die Hagen für seine abscheulichen Rituale geopfert hat, schöngeredet mit den angeblichen Bedürfnissen des Dämons. Du hast, ohne mit der Wimper zu zucken, neben Hagen gestanden, wenn er seine Reden über die wahre Natur des Wolfes geschwungen hat, obwohl du wusstest, das es nur als Ausrede zum Morden diente. Und um nichts anderes als Mordlust handelt es sich. Dabei hat Hagen das Rudel mit Schuld besudelt.«
    »Du bist doch das beste Beispiel dafür,

Weitere Kostenlose Bücher