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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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zurücklassen würde.
    Doch heute ging es wohl um ein anderes Thema, auch wenn Nathanel nicht erraten konnte, was so wichtig sein mochte. Als sie endlich vollzählig waren, trat Piroschka einen Schritt nach vorn, und sofort gehörte ihr die ganze Aufmerksamkeit. Diese natürliche Autorität hatte Nathanel stets an ihr bewundert, und dass sie ihn auch jetzt noch anlockte, versetzte ihm einen Stich.
    »Ihr könnt euch sicherlich denken, warum wir uns versammelt haben. Über einem frisch zerfleischten Leichnam unten am Fluss sammeln sich die Fliegen. Die wievielte Leiche seit Sommerbeginn? Ich bin beim Zählen irgendwie aus dem Takt gekommen.«
    Unter Piroschkas gereiztem Blick begann das Rudel, sich zu winden, und auch Nathanel spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, als müsse er ein schlechtes Gewissen haben. Obwohl kaum ein Mensch wegen der unentwegt brennenden Sonne sein Haus verließ, waren in den letzten Wochen immer wieder grausam zugerichtete Leichen aufgetaucht. Nicht nur im Revier des Rudels, sondern auch in den herrenlosen Gegenden. Trotzdem hatte es eine Zeit lang gedauert, bis sich der  Verdacht erhärtete, dass einer von ihnen auf die Jagd ging. Eigentlich nichts Ungewöhnliches für einen Wolf, der es liebt, einer Fährte zu folgen und die Beute einzukreisen.Vielleicht sogar ihre Angst zu spüren. Aber Menschen bestialisch zu ermorden?
    »Inzwischen können wir davon ausgehen, dass der Mörder aus unseren Reihen stammt.« Bei diesen Worten zuckte Nathanel zusammen. Woher wollte Piroschka das wissen? Als habe sie seinen Gedanken erraten, lächelte sie ihn schmallippig an. »Wir können davon ausgehen, weil ich mir die Leiche angeschaut habe, bevor die Menschen aufgetaucht sind. Ein Jäger, der seine zerrissene Beute wie ein groteskes Kunstwerk zurücklässt, wird sehr schnell selbst zum Gejagten. Und wir sind uns doch wohl alle einig, dass wir uns eine solche Aufmerksamkeit kaum leisten können. Deshalb kann es auch nur eine Art der Bestrafung geben: den Tod.«
    Ein verstörtes Aufmurren ging durch die Reihen, da einige Piroschkas Worte nicht richtig begriffen. Zu unfassbar war diese Vorstellung. Doch Nathanel verstand sehr wohl, worauf ihre Anführerin hinauswollte: Unter ihnen gab es einen Mörder. Schnell ließ er seinen Blick über die ihm so vertrauten Gesichter schweifen. Was Piroschka gesagt hatte, konnte einfach nicht sein. Niemand von ihnen war in der Lage, sich so gut vor ihrer Anführerin zu verbergen. Oder hatte sie ihre Aufgaben in der letzten Zeit wirklich derart vernachlässigt? Ihm lag die Frage auf der Zunge, doch da fing Piroschka erneut an zu sprechen.
    »Seitdem die letzte Leiche entdeckt worden ist, hatte ich einen Verdacht. Man kann viele Spuren im Fluss abwaschen, aber eben nicht alle. Dieses Mal bin ich unserem Jäger gefolgt.«
    »Du hast ihm dabei zugesehen, wie er diese Frau umgebracht hat?« Nathanel starrte Piroschka voller Unglauben an.  Augenblicklich traf ihn Piroschkas Autorität wie ein Schlag in den Magen, aber er glaubte, einen Funken von Erregung in ihren Augen erkannt zu haben.Was sie beobachtete hatte, hatte sie alles andere als erschreckt.
    Piroschka konzentrierte sich wieder auf das Rudel, das sich vor Anspannung kaum noch zu rühren wagte. »Hagen, wirst du freiwillig vortreten?«, fragte sie mit trügerischer Ruhe.
    Als nichts passierte, verzog sich ihr Mund zu einem harten Lächeln. Ohne ein Geräusch zu machen, wich das Rudel zurück. Ein Kreis bildete sich um den jungen Mann. Sogar Nathanel, der gerade erst wieder Luft bekam, wich zurück. Allerdings nur so weit, dass er das plötzlich eröffnete Tribunal beobachten konnte.
    Hagen verzichtete darauf, hilfesuchend über die Schulter zu jenen zu schauen, zu denen er eben noch gehört hatte. Auch kam ihm kein Wort über die Lippen. Langsam ließ er sich auf die Knie sinken, als akzeptiere er Piroschkas Richtspruch. Aber er schlug keinesfalls den Blick nieder, sondern sah die auf ihn zutretende Frau zwischen den schwarzen Haarsträhnen, die ihm im Gesicht klebten, kühl abschätzend an. Dabei zitterte sein schlaksiger Körper, in dessen Größe er noch nicht richtig hineingewachsen war, unentwegt.
    »Du leugnest es also nicht?«, fragte Piroschka.
    Nathanel hatte den Eindruck, als wäre die Anführerin froh, diese Angelegenheit so schnell wie möglich zu beenden, bevor noch mehr Fragen gestellt wurden, die sie in einem schlechten Licht dastehen ließen.
    Als Hagen beharrlich schwieg, nickte sie. »Du

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