Wintermond
von der Treppe aus beobachtet hatte, war eindeutig nervös gewesen.Vermutlich kannte sie bereits einige Geschichten über die eigensinnige Frau und befürchtete, dass Meta - nachdem sie gerade erst erfolgreich eine neue Kunstsparte im Galerieprogramm durchgesetzt hatte - im Eifer des Wandels eine neue Kollegin mit an Bord bringen wollte. Oder vielleicht sogar gegen jemand Unliebsamen einzutauschen gedachte?
Als Meta ihren Mantel geholt hatte, war sie deshalb noch kurz zu Eve gegangen und hatte leise gesagt: »Findest du nicht auch, dass Lailas dunkle Schönheit einen großartigen Kontrast zu unserem weißen Kachelparadies bildet? Ich könnte mir gut vorstellen, dass ich mir das gerne häufiger anschauen würde.« Eve hatte nur ein Schnauben hören lassen, doch es hatte bei weitem nicht so abfällig wie sonst geklungen. Na, dann grüble mal schön, hatte Meta voller Schadenfreude gedacht.
Tatsächlich war Laila nicht im Geringsten an einem neuen Job interessiert; sie hatte bloß Lust auf ein Gespräch unter Kunstnarren verspürt. Dass sie jedoch schon nach kurzer Zeit auch über alles andere redeten, das ihnen gerade durch den Kopf ging, machte das Mittagessen trotz Metas durchscheinender Niedergeschlagenheit zu einem Erfolg. Mit ihrer überschwänglichen Art gelang es Laila sogar, ihrer Gesprächspartnerin das eine oder andere Lachen zu entlocken. Ihr schien Metas Niedergeschlagenheit durchaus nicht entgangen zu sein, aber sie war wohl zu taktvoll, um sie darauf anzusprechen. Dafür war Meta ihr ausgesprochen dankbar, denn so bekam sie die Möglichkeit, wenigstens für die Dauer eines Essens das ganze Elend zu vergessen, in das ihr Leben sich verwandelt hatte.
»Vermutlich wird Rinzo mich für unser Treffen als miese Verräterin brandmarken, sobald ich in die Galerie zurückgekehrt bin«, erklärte Meta mit gespielter Ernsthaftigkeit, nachdem Laila gerade die Rechnung beglichen hatte.
Laila legte den Kopf schief. »Soll ich dir mal meine ehrliche Meinung zum Thema Rinzo und der Galerie sagen? Ich denke, es war höchste Zeit, dass bei euch mal ein frischer Wind weht. Ich bin zwar von der Konkurrenz und sollte deshalb vermutlich meinen Mund halten, aber wenn man sich ein wenig in der Gerüchteküche umhört, dann braucht euer Laden dringend einen Ausgleich zu Rinzos Gehabe. Der redet zwar viel von Genius und Einzigartigkeit, aber, ehrlich gesagt, geht es bei ihm doch offensichtlich schlicht ums Geschäft. Ein bisschen Seele, der Mut, nicht nur auf die zu schauen, die mit ihrer Meinung immer in der ersten Reihe stehen, wird sich lohnen. Vielleicht bekommt eure Buchhalterin nicht unbedingt mehr zu tun, aber du wirst aufblühen, und das zahlt sich bestimmt aus. Solche Umbruchzeiten sind gewiss schwierig, doch du machst das schon richtig.«
Einen Moment lang verspürte Meta das dringende Bedürfnis, sich gegen Lailas Schulter zu lehnen und hemmungslos zu weinen. Stattdessen schluckte sie tapfer und sagte ein leises Dankeschön. Diese Worte hatten ihr eben viel mehr gegeben, als Laila ahnen konnte, denn stets übermannte sie der Schmerz aufs Neue. Und angesichts der Dinge, die Rahel ihr über den Wolfsdämon erzählt hatte, fühlte sie eine Trostlosigkeit, die ihr zuflüsterte, die Hoffnung auf Davids Rückkehr einfach fallenzulassen und sich mit seinem Verlust abzufinden. Doch dazu war Meta nicht bereit.
Es ist eine Zeit des Umbruchs, sagte sie sich, während sie in der kleinen Vorhalle des Restaurants auf Lailas Taxi warteten. Es ist verstörend, aber es wird vorübergehen. Sobald ich David gegenüberstehe und die richtigen Worte sage, wird es vorbei sein. Und dann … Aber das »und dann« schien so grausam weit weg. Die Unfähigkeit, sich ein Wiedersehen vorzustellen, war fast noch schlimmer als der Liebeskummer und die Sorge, David nicht finden zu können. In seiner alten Wohnung war sie schon gewesen, doch die war bereits wieder neu vermietet worden. Bei Halberland, seinem Chef, war David auch nicht aufgetaucht. Obwohl der Mann geschimpft hatte wie ein Rohrspatz, hatte er darum gebeten, dass David sich bei ihm melden sollte, sobald er wieder auftauchte.
Lailas Taxi fuhr vor, und die beiden Frauen verabschiedeten sich herzlich voneinander. Von der geschützten Vorhalle aus beobachtete Meta, wie die in einen voluminösen Mantel verhüllte Gestalt durch den Schneesturm lief und der Wagen, Matsch aufspritzend, losfuhr. Unschlüssig blieb Meta hinter der Eingangstür stehen: Sollte sie sich ebenfalls ein Taxi
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