Wintermond
inne, dass ihr der Atem stockte.
»So sieht der Leckerbissen also in natura aus. Über Davids Geschmack lässt sich einfach nicht streiten.« Der hünenhafte Mann verzog den Mund zu einem Grinsen, wobei ihm ein verräterischer Schatten über die Züge glitt.
Meta begann zu schreien und konnte nicht wieder aufhören. Der Mann hinter ihr, der sie mühelos in seinen Armen hielt, stimmte in ihren Schrei mit ein, unnatürlich hoch, nur unterbrochen von einem Lachen, das fast noch grausamer klang.
Kapitel 31
Nachspiel
Die Dunkelheit war so dicht geworden, dass sie selbst das Licht der Laternen zu ersticken drohte. Obwohl die Seitenfront des gegenüberliegenden Hauses lediglich einen verwaisten Treppenschacht zur Ansicht bot, hielt Meta eisern ihren Blick darauf gerichtet. Dort draußen in der Nacht lag die Wirklichkeit, daran musste sie sich fortwährend erinnern. Der riesige, halbleere Saal, in den man sie gesperrt hatte, war nichts weiter als ein schrecklicher Traum.
Gegen ihren Willen wurde ihr Blick jedoch immer wieder von dem altarähnlichen Tisch angezogen, über den ein räudiger Pelz ausgebreitet lag. Meta glaubte, einen animalischen und leicht ätzenden Geruch wahrzunehmen, der von ihm ausging. Ein widerspenstiger Teil von ihr wollte sich dieses archaische Artefakt genauer ansehen, sie dazu anstiften, ihre Finger durch den verdreckten Pelz gleiten zu lassen und sich die ihm innewohnende Macht anzueignen. Je dringender dieses Bedürfnis wurde, desto sturer blickte Meta zu dem hohen Fenster hinaus.
Ohne Zweifel war sie dabei, ihren Verstand zu verlieren. Hatte es in der Sekunde begonnen, als sie sich einbildete, einen Schattenwolf zu Hilfe gerufen zu haben? Oder als sie in ihrem Inneren Türen aufgestoßen hatte, um die Macht, die diesen Tillmann umgab, zu besänftigen? Vielleicht hatte es aber auch schon viel früher angefangen, etwa, als sie geglaubt hatte, Davids Hand würde ein Schatten umspielen, der ihm eine unglaubliche Kraft verlieh …
Alles war Lug und Trug. So musste es sein, anders konnte sie sich den ganzen Wahnsinn nicht erklären. Ihr Geist war vom Weg abgekommen, streunte verloren über abseitige Wege. Ihre Mutter hatte sie gewarnt: Niemand, der bei klarem Verstand ist, läuft auf den Straßen dieser Stadt umher.
Meta presste ihre Lippen aufeinander, bis sie schmerzten. Nur dadurch gelang es ihr, die Tränen zurückzudrängen, die sich in ihren Augenwinkeln angesammelt hatten. Eine erneute Welle von Erschöpfung drohte sich in ihren Gliedern auszubreiten, wurde jedoch sogleich von den Selbstzweifeln weggespült, die sie nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit gefangen hielten.
Sie war verdorben, deshalb hatte sie in jener letzten Sommernacht zu David gefunden. Sie hatte sich von ihren Instinkten leiten lassen, und die hatten sie genau zu dem Mann geführt, der ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Auf eine Art und Weise, die weit über jede romantische Vorstellung hinausging. Nun stand sie hier, in einem verwahrlosten Saal, während über die dunklen Flure des Palais Schatten schlichen, die vorgaben, Wölfe zu sein. Ich hätte mir wenigstens ein rotes Kleid anziehen sollen, wenn ich schon kein Cape besitze, dachte Meta mit einem Anflug von Galgenhumor.
Doch als die Saaltür aufging und die schweren Schritte ihr verrieten, dass ihr Entführer zurückgekehrt war, waren Sarkasmus und Selbstzweifel mit einem Schlag vergessen. Dieser Mann strahlte eine Lust an Gewalt aus, als wären in ihm alle Dämme, die einem die Menschlichkeit für gewöhnlich auferlegte, mit einem Schlag geborsten. Dass er ihr vor einigen Stunden nicht mitten auf offener Straße die Kehle zerfetzt hatte, war nicht einem Anflug von Skrupel geschuldet. Nein, er hatte sie in sein Reich verschleppt, um dasVergnügen noch mehr auskosten zu können, das ihr Tod ihm bereiten sollte. Das Bedürfnis zu fliehen war in seiner Gegenwart fast überwältigend. Trotzdem gab Meta ihm nicht nach, denn etwas anderes überwog: Ihr Entführer hatte sie mit diesen so vertrauten blauen Augen angestiert.Dieser beängstigende Mensch barg also etwas in sich, das ihn zu Davids Bruder machte.Was immer das auch in dieser gewalttätigen Schattenwelt zu bedeuten hatte …
Mit langsamen Bewegungen drehte Meta sich um und sah den ganz in Schwarz gekleideten Mann an. Er war hinter ihr stehen geblieben, nahe genug, dass er nur den Arm ausstrecken musste, um sie zu berühren. Eine Strähne seines langen schwarzen Haares hing ihm ins
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