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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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eine von Unkraut übersäte Böschung aufstieg, luden auch nicht gerade zum Spazierengehen ein. Auf der gegenüberliegenden Seite des Kanals lag Brachland, und durch den abendlichen Dunst drangen kaum wahrnehmbar die Geräusche einer fernen mehrspurigen Straße und das Kläffen von Hunden.
    Nachdem sie den Job für Hagen erledigt, den Wagen gesäubert und zurückgebracht hatten, hatte David sich mit einem Nicken von Jannik verabschiedet. Normalerweise wäre es ihm nicht so leicht gefallen, seinem Freund zu entwischen, doch Jannik war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, den überdrehten Burek zu beruhigen. David hatte die Chance genutzt und war hastig durch die Pforte des Hinterhofes geschlüpft, bevor Jannik in den Sinn kommen konnte, ihn zu begleiten und vielleicht noch ein paar anzügliche Fragen zu den Erlebnissen der vergangenen Nacht zu stellen.
    Davids Hände tasteten über die körnige Oberfläche der Brüstung, während er gedankenverloren das dunkle Wasser betrachtete, das gemächlich in Richtung Hafen floss. Obwohl er schon so lange gegen die Mauer gelehnt dastand, dass seine Hüftknochen schmerzten, war noch kein Kahn den Kanal entlanggeschippert. Nur zwei Jungen waren auf ihren BMX-Rädern, Schlenker fahrend, auf ihn zugekommen, als die Sonne gerade hinter dem Gewirr von Hochbrücken im Westen verschwand. Sie waren stehen geblieben, hatten ihn einen Moment lang gemustert und wohl überlegt, ob er vielleicht in  dieser Einöde herumstand, um Dope zu verkaufen. David rechnete schon fest damit, ihnen einen Anpfiff verpassen zu müssen, damit sie sich aus dem Staub machten, da verschwanden sie von selbst. Seitdem zogen lediglich ein paar Möwen ihre Kreise.
    Plötzlich stützte David sich auf die Ellbogen, wobei die Lederjacke auf der Brüstung ein Geräusch machte, als würde sie über Sandpapier schleifen. Mit einem Stöhnen vergrub er sein Gesicht in den Händen. Es war ganz gleich, wie sehr er sich auch bemühte, es wollte ihm einfach nicht gelingen, das Durcheinander in seinem Kopf unter Kontrolle zu bekommen. Erinnerungsfetzen quälten ihn, und zum ersten Mal seit langem drohten ihn die hochkochenden Gefühle zu überwältigen. Es war ein Fehler gewesen, sich in der letzten Nacht von seiner Leidenschaft mitreißen zu lassen. Er hätte wissen müssen, wie schwer es ihm fiele, all dies am nächsten Tag wieder auszumerzen.
    Zwangsläufig spürte er Convinius’ enttäuschten Blick. Seine Gedanken und erst recht seine Gefühlswelt zu beherrschen, war eine der wichtigsten Lektionen gewesen, die er David vermittelt hatte.Wahrscheinlich sogar die wichtigste von allen. Damals war David ein störrischer Schüler gewesen, da es ihm so vorgekommen war, als töte er einen Teil von sich selbst ab, wenn er alles, was in ihm Blüten trieb, sofort niedermähte. Erst als er vor Hagen gestanden hatte, war David klargeworden, welche Bedeutung diese Lektion tatsächlich hatte. Seitdem beherzigte er sie.
    Bis auf letzte Nacht. Das Problem war nicht die Tatsache, dass er sehenden Auges einen Auftrag vermasselt hatte, auch der Alkohol und die Frau in seinem Bett waren es nicht.Aber Meta hatte etwas tief in ihm berührt. Zuerst hatte er seine Reaktion auf sie allein seiner vom Alkohol angestachelten Triebhaftigkeit zugeschrieben. Mit so viel Wodka im Blut  wurde jede Frau, die sich an einen schmiegte, zu etwas Besonderem. Doch am nächsten Morgen, als sie noch schlafend zwischen den zerwühlten Laken lag, hatte sich an ihrer Faszination auf ihn ebenso wenig geändert wie an seinem dringenden Bedürfnis, sie durch Worte und Berührungen an sich zu binden.
    Jannik und die anderen mochten zwar glauben, dass es lediglich sein Schwanz gewesen sei, der in aller Deutlichkeit ausgeschlagen hatte, aber David wusste es besser. Sie alle kannten diese kaum zu überwindende Distanz, wenn sie einem Menschen gegenüberstanden, der nicht zum Rudel gehörte. Das Gefühl, einander für immer fremd zu sein, gepaart mit der Furcht, das Gegenüber könne den eigenen Jagdinstinkt wecken. Doch in Metas Gegenwart hatte sich diese vertraute Empfindung nicht eingestellt, ganz im Gegenteil: David hatte sich derartig gut gefühlt, dass er selbst sein Geheimnis vergessen hatte - und genau das machte ihm solche Sorgen. Allein die Tatsache, zum wiederholten Male Metas Spur verfolgen zu wollen, war Beweis genug dafür, dass hier etwas nicht stimmte. Er spürte eine Vorfreude aufsteigen, die einen anderen Ursprung als sein eigenes Verlangen hatte.

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