Wintermond
ihre Faust gegen die Rippen, weil ihr Herz einen nervösen Satz machte. Was immer Eve zu dem Thema betrunkene One-Night-Stands mit verführerisch duftenden Kerlen zu sagen hatte, sie wollte es lieber nicht hören. Denn seltsamerweise war es ihr unmöglich, die Nacht mit David wirklich aus dieser Perspektive zu betrachten. Im Nachhinein war sie sogar froh, während der Taxifahrt am nächsten Morgen zu ihrem Apartment nicht weiter auf das Stadtviertel geachtet zu haben, in dem seine Wohnung lag. Wenn sie sich die Straße gemerkt hätte, wäre sie vielleicht noch in Versuchung geraten, ihm einen Besuch abzustatten. Unleugbar hatte er einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen - und leider nicht nur wegen seiner physischen Vorzüge.
Meta rieb sich das Gesicht, darauf bedacht, den Lippenstift nicht zu verschmieren. Da zerbrach sie sich den Kopf über einen Unbekannten, der sie mehr oder weniger aus seiner Wohnung komplimentiert hatte, obwohl sie mit ihrer komplizierten Beziehung zu Karl schon genug um die Ohren hatte. Dabei hatte sie eigentlich gehofft, so langsam dem Alter entwachsen zu sein, in dem verpfuschte Liebesgeschichten die Hauptrolle spielten.
Nachdem sie ihren dreißigsten Geburtstag hinter sich gebracht hatte, war sie darauf fixiert gewesen, sich ganz der Perfektionierung ihrer Karriere und des Interieurs ihres Apartments hinzugeben, das sie unter großen Anstrengungen erworben hatte. Sämtliche überschüssige Energie hatte sie in ihre Familie investieren wollen, nun, da sie wieder in ihrer Geburtsstadt lebte. Dabei stellte sich leider äußerst schnell heraus, dass einem manche Familienmitglieder nicht unbedingt näherkommen, nur weil man mehr Zeit mit ihnen verbringt. Und ihr wunderschönes Apartment hatte sich unter Karls strenger Federführung in einen Eispalast verwandelt, in dem Meta auf Zehenspitzen umhertippelte, weil sie das Hallen ihrer Schritte nervös machte. Blieb immer noch die Karriere.
Mit energischen Schritten durchquerte Meta das weitläufi ge Foyer der Galerie und ließ ihren Blick über großformatige Leinwände schweifen, auf denen in Giftfarben und in dilettantischer Pinselführung eine Erweckungsszene und das Höllenfeuer dargestellt waren. Wie immer musste sie ein Schaudern unterdrücken. Neben einer brusthohen Bronzeskulptur fand sie schließlich Eve, die gedankenverloren an der Kante ihres Handys knabberte.
Immer noch besser als an ihren beigefarbenen Plastiknägeln, dachte Meta bissig.Wenn Eve davon etwas verschlucken würde, müsste ihr aus gesundheitlichen Gründen bestimmt der Magen ausgepumpt werden. Sofort meldete sich ihr Magen mit einem Stich, denn in ihm wohnte schon seit Jugendtagen ihr schlechtes Gewissen. Aber etwas an Eve reizte sie, rief ihre für gewöhnlich wenig ausgeprägte Niederträchtigkeit hervor.
»Was für ein grauenhaft düsterer Nachmittag«, sagte Meta und streifte im Vorbeigehen Eves Schulter, quasi als Wiedergutmachung für ihre gemeinen Gedanken. »Falls sich heute allerdings ein an Kunst interessierter Mensch zu uns verirren sollte, ist er vielleicht in der richtigen Stimmung, um diese gruseligen Schinken aus dem Foyer zu kaufen. Rinzo schwört ja nach wie vor auf deren Großartigkeit.«
Eves schlecht gelaunte Miene verriet, dass auch sie den Dauerregen nicht mit einem Lächeln wegstecken konnte. »Diese Interpretation des Glaubens ist ein sehr aktuelles Thema - Rinzo hat das perfekte Gespür für so etwas. Oder willst du ihm das vielleicht absprechen?«
Es reizte Meta, einen Kommentar darüber zu verlieren, wie weit Rinzos Gespür beim Erwerb dieser Bilder seiner Zeit voraus gewesen war. Nämlich so weit, dass die Gegenwart ihn noch immer nicht eingeholt hatte, obwohl die beiden Bilder nun schon seit einigen Monaten ausgestellt wurden. Doch in ihrer jetzigen Stimmung würde Eve Meta jeden Witz als Hochverrat an dem umtriebigen Mäzen auslegen und wahrscheinlich sogar weitertratschen.
Also versuchte Meta sich an einem anderen Thema: »Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du dir die Fotos, die ich von den Aquarellen dieser Künstlerin am Stadtrand gemacht habe, einmal angesehen hast. Es würde mich interessieren, wie du ihre Arbeiten einschätzt.«
»Nein, da habe ich noch nicht draufgeschaut.« Eve kniff sich ins Nasenbein, als plagten sie plötzlich Kopfschmerzen. »Aber hör mal: Aquarelle,Vorstadt... Meta, du bist zum Verkaufen hier und nicht zum Entdecken von neuen Künstlern. Man kann halt nur eins machen: Irgendwelchen Leuten
Weitere Kostenlose Bücher