Wintermond
Diese Vorfreude war ungezügelt und zugleich von einer Unschuld, die gar nicht zu seinen Gedanken an die Frau passte. Lass uns zu ihr gehen, schien sie ihm zuzuflüstern, uns an sie schmiegen, bis wir uns vollständig fühlen. David stutzte, dann schob er mit aller Willenskraft die verführerische Vorstellung beiseite.
Meta - das klang nicht nur nach einem exzentrischen Vornamen, sondern auch nach richtig großen Schwierigkeiten. Eine schöne Frau, die bestimmt in einem der wohlhabenden Viertel lebte, die man in dieser Stadt an einer Hand abzählen konnte. Aus einer sogenannten guten Familie stammend, gebildet … Diese Frau hatte sicherlich nur darauf gewartet, jemandem wie ihm zu begegnen. David spürte, wie der zynische Gedanke ihm einen Stich versetzte. So weit war es also schon gekommen.
Mit einem Satz richtete er sich auf und wusste einen Augenblick lang nicht, wohin mit der angestauten Frustration. Am liebsten hätte er mit seiner Faust gegen den Beton geschlagen und sich dann für ein paar Sekunden dem Schmerz überlassen. Doch er riss sich zusammen. Wut war ein starkes Gefühl, und wenn man nicht achtgab, schlug es plötzlich in etwas anderes um.
David verschränkte die Hände hinter dem Nacken und atmete tief durch. Er würde den Gedanken an diese Frau jetzt sofort fallenlassen. Darin bestand die einzige Möglichkeit, sie zu vergessen und nicht mehr aus der Sache zu machen. So hielt er es schließlich mit allem, seit er von Hagen aufgegriffen worden war. Damit war er auch immer gut gefahren.
Diese Meta führte garantiert ein Leben, das erfüllt war mit Luxus und Annehmlichkeiten und einem passenden männlichen Gegenstück an ihrer Seite. Womit könnte ausgerechnet er sie überzeugen, ihn eines zweiten Blickes zu würdigen? Einmal davon abgesehen, dass ihm eine Liebesgeschichte Hagen gegenüber das Genick brechen würde.Außerdem konnte er sich nicht sicher sein, ob es ihm überhaupt gelingen würde, ihrer von Stunde zu Stunde schwächer werdenden Fährte zu folgen … da war er wieder, dieser hoffnungsvolle Gedanke.
Mit einem unterdrückten Wutschrei sauste Davids Faust auf den Betonsims nieder, doch das Brennen, das seine Handkante durchzuckte, war nichts im Vergleich zu der Verzweiflung, die in ihm tobte. Wenn er sich nicht schleunigst unter Kontrolle brachte, würde er sich selbst zu Fall bringen, sich Hagen ausliefern wie ein verdammter Idiot. Und so, wie es aussah, gab es nichts, was ihn davon abhalten konnte.
Kapitel 5
Das Geschenk
Meta konnte nicht sagen, wie lange sie an diesem Nachmittag schon vor dem Frontfenster der Galerie gestanden und in den Regen hinausgeblickt hatte. Unablässig jagte der Wind den Nieselregen gegen die bodentiefen Scheiben und verwischte das Geschehen auf der Straße zu einem grauen Einerlei.Trotzdem konnte sie sich nicht losreißen. Mit verschränkten Armen und leicht fröstelnd stand sie da und ließ ihre Gedanken schweifen. Sie fühlte sich unendlich erschöpft, obwohl der Tag ihr bislang keine nennenswerte Anstrengung abverlangt hatte. Ein paar unwichtige Anrufe, und die Eingangstür der Galerie war nur wenige Male aufgeschwungen, meistens weil irgendein Mitarbeiter eines Lieferdienstes fälschlicherweise den Haupteingang benutzte.
In der Regel stürzte sich Eve dann auf die unglücklich dreinblickenden Menschen und erklärte ihnen im für unterbezahlte Hilfskräfte ohne Durchblick reservierten Kommandoton, dass die Pakete auf der Rückseite des Gebäudes bei der Buchhaltungsdame abzugeben seien. Nein, sie würde das Paket auf keinen Fall annehmen. Das gehöre hinten auf der Lieferantenseite abgegeben und jetzt - husch, husch - raus hier. Es könnte schließlich gleich jemand Wichtiges auftauchen, der sich Kunst anschauen wollte. Der sollte dann nicht mit dem deprimierenden Anblick von Arbeitsdrohnen und braunem Packpapier konfrontiert werden.
Das alles hatte Meta unglaublich runtergezogen, aber eigentlich war sie schon den ganzen Tag deprimiert: Am gestrigen Abend wärmte sie sich gerade eine Schale mit Miso-Suppe in der Mikrowelle auf, als das Telefon klingelte. Beim Blick auf die Nummer des Anrufers verwandelte sich ihr Magen in eine Grube voller Eiswürfel. Sie musste sich regelrecht dazu zwingen, das Gespräch anzunehmen. Viel lieber wäre sie vor der brummenden Mikrowelle stehen geblieben und hätte zugesehen, wie die Suppenschale ihre Runden drehte. Doch Karl kannte ihren Wochenablauf gut genug, um zu wissen, dass sie zu Hause war. Wahrscheinlich
Weitere Kostenlose Bücher