Wintermond
unterhalten. Höchstens ein paar Sätze, und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die sich um die Arbeit gedreht haben.«
»Dann muss der Bursche wohl einer von der findigen Sorte sein, wenn er dich trotzdem aufgestöbert hat. Erwartet er jetzt dasselbe von dir? Schließlich hat er dir weder seine Telefonnummer noch sonst etwas hinterlassen.«
»Wahrscheinlich geht er davon aus, dass ich mich noch daran erinnern kann, wo er wohnt.«
Meta ließ die Schultern hängen. Eigentlich hatte sie immer gedacht, ihre Geburtsstadt in- und auswendig zu kennen, doch in Davids Viertel hatte es sie auch bei ihren nächtlichen Ausflügen noch nie hin verschlagen. In seiner Gegend reihten sich die Mietshäuser trist aneinander, die Bordsteine sahen verwahrlost aus. Ein Block voller Kasernen, unmöglich, sich dort an einem Herbstmorgen nach unzähligen Margaritas zurechtzufinden. So romantisch Meta das Ganze eben noch erschienen war, so abgeschlossen wirkte es jetzt: Sie würde David für das Bild keinen Dank übermitteln können. Und nach dem Blick zu urteilen, den er ihr in der Galerie zugeworfen hatte, würde er bestimmt nicht vorbeikommen, um ihn sich persönlich abzuholen.
Kapitel 8
Hagens rechte Hand
Die Küche des Palais war von der Größe her an die Küchen der großbürgerlichen Villen des vergangenen Jahrhunderts angelehnt. Zahlreiche Bedienstete sollten darin Platz finden, um sich um die verschiedenen Belange der Herrschaften kümmern zu können oder die Mahlzeiten an einem langen Esstisch einzunehmen. Der Zweck war weit verfehlt. In dieser Küche gab es nur einen rostigen Gasherd, von dem die Hälfte der Bewohner keine Ahnung hatte, wie man ihn bediente, eine leckende Spüle und einige Resopaltische, die den Charme einer Großkantine versprühten. Dafür strahlte der mannshohe Kühlschrank aus Edelstahl wie ein Kronjuwel. Nathanel stöberte gerade in dessen Tiefen, aber was er fand, entlockte ihm lediglich ein tiefes Grunzen.
David war im Türrahmen stehen geblieben und betrachtete den niedergebeugten Mann, der in einem ausgefransten Flanellhemd, Arbeiterhosen und Schnürstiefeln steckte. Nach einer Weile zog Nathanel den Kopf aus dem Kühlschrank und musterte ein in Schlachterpapier eingeschlagenes Stück Fleisch. Mit einem unübersehbaren Humpeln trat er ein Stück zurück, und die Kühlschranktür schloss sich mit einem geräuschvollen Plopp.
Nachdenklich wog Nathanel das Fleisch in seiner grobgliedrigen Hand, dann warf er David einen Blick zu. »Was denkst du, wie lange das hier schon im Kühlschrank liegt?« Seine Stimme war so durchdringend wie eh und je, nicht das leiseste Anzeichen von Schwäche war herauszuhören. Aber es klang ein wenig abgehackt, als bereite es ihm Mühe, die einzelnen Worte klar und deutlich auszusprechen.
»Solange es nicht aus eigenem Antrieb aus deiner Hand springt...«, erwiderte David. Da er immer noch keine Anstalten machte, aus dem Türrahmen zu treten, gab Nathanel ihm mit einem Nicken zu verstehen, endlich näher zu kommen. Dabei fiel ihm eine der grauen Strähnen ins Gesicht und berührte die beachtliche Habichtsnase. Im nächsten Moment wurde sie wieder hinters Ohr geklemmt.
Nathanel war gewiss kein ansehnlicher Mann, seine Gesichtszüge waren zu ausgemergelt und die Lippen zu dünn. Dafür stachen die buschigen Augenbrauen hervor, genau wie die blau strahlende Iris. Der Körper war hochgewachsen, mit breiten Schultern und Gelenken, und doch durch und durch hager. Manchmal dachte David, wenn er diesem Mann gegenübersaß, dass er in gut dreißig Jahren vielleicht ganz genauso aussehen würde.Von den leicht hängenden Zügen der linken Gesichtshälfte einmal abgesehen.Vollkommen ausgezehrt und zugleich so widerstandsfähig wie gegerbtes Leder. Er wusste nie recht, was er von diesem Gedanken halten sollte.
Nathanel hatte eine alte Pfanne aus dem Ofen hervorgeholt und suchte nun das weitgehend leere Küchenregal nach Streichhölzern oder einem Feuerzeug ab, um den Gasherd anzünden zu können. Auffordernd sah er David an, der sich mit einigen Schritten Abstand zu ihm gesellt hatte, aber der zuckte bloß mit den Schultern.
»Wo treibt sich denn dein kleiner Schoßhund rum? Der raucht doch wie ein Schlot.«
»Jannik erledigt ein paar Besorgungen für Amelia.«
»Wie nützlich«, brummte Nathanel.
Schließlich fand er in einer Waschmitteldose ein Streichholzheftchen. Erst nach einigen Fehlversuchen gelang es ihm, ein Hölzchen anzureißen, denn sein
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