Wintermond
»Komm, das war ein Scherz. Aber du würdest dieses Hängerchen wirklich besser ausfüllen, wenn du ein wenig mehr auf den Rippen hättest.«
Meta blinzelte getroffen, denn eigentlich gab sie Rahel Recht: Selbst Meta konnte ihre staksigen Beine und ihr hageres Dekolleté nicht ausstehen. Noch weniger gefiel ihr allerdings der Gedanke, nicht dem Bild von einer attraktiven Frau zu entsprechen, das in ihrem Umfeld vorherrschte.
Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, sagte Rahel: »Aber was verstehe ich schon von Mode, die aussieht wie ein paar gefältelte Stoffbahnen.« Ihr Augenblinzeln dabei verriet, dass auch Rahel sich der Unterschiede zwischen ihnen beiden bewusst war.
Einen Augenblick lang stellte Meta sich vor, wie Rahel abends mit einigen Freundinnen dicht gedrängt auf einer Couch saß, während irgendein alter Spielfilm lief. Die Frauen hielten Bierflaschen in den Händen, zwischen ihnen eine Schale Chips, so dass von allen Seiten kräftig zugelangt werden konnte.
Vielleicht versuchte Rahel in solch einem Moment, ihren Freundinnen Meta zu beschreiben: »Ihre Fingernägel sind immer blau angelaufen unter dem Lack, weil sie außer Kaffee nichts im Magen hat und in diesen kompliziert geschnittenen Fähnchen friert. Aber man stellt sich eben nicht mit einem Hosenanzug in die Galerie, als würde man in einer Bank arbeiten. Kunst ist schick, da darf man nicht so rüberkommen, als würde man bloß einem Job nachgehen.«
»Also ist das Einzige, was euch verbindet, das Kaffeetrinken«, stellte eine Frau fest, deren blondes Haar dem Fell eines Straßenköters glich. Bestimmt fristet sie ihr Leben in einer Versicherungsgesellschaft, entschied Meta. »Das ist nicht viel.«
»Na ja«, erwiderte Rahel, als fiele es ihr schwer, die Beziehung in die richtigen Worte zu fassen. »Irgendwie passt das schon.«
Genau, irgendwie passte das schon, auch wenn Meta wahrscheinlich niemals auf diese Couch eingeladen werden würde. Aber sie hatte ja selbst genug Freundinnen. Die sahen ihr allerdings alle so ähnlich, dass es ihr manchmal vorkam, als blicke sie ständig in einen Spiegel. Dafür brauchte sie Rahel nicht.
Während Meta ihrer Fantasie freien Lauf ließ und an einer Trüffelpraline knabberte, trank Rahel ein paar Schlucke Kaffee. Dann deutete sie auf das nasse Paket, auf dem Metas freie Hand besitzergreifend ruhte.
»Ist das schon das Kunstwerk oder steckt da eins drin?«
Augenblicklich bekam Metas blasses Gesicht Farbe, und sie strich einige der Papierfetzen glatt. »Das ist ein Geschenk«, sagte sie und verspürte das Bedürfnis, Rahel alles über David zu erzählen. Aber das war unmöglich, hier in ihrem cleanen Büro mit den ausgesuchten Werken an den Wänden und dem Panoramafenster, das direkt auf die Hauswand des Nachbargebäudes zeigte. Rinzo hatte das sehr lustig gefunden, als sie die Galerie eingerichtet hatten: eine Aussicht auf Beton, haha. Aber er hatte das Büro dann doch nicht selbst beziehen wollen.
»Und willst du es nicht auspacken?«
»Ich glaube, ich weiß schon, was drin ist.«
»Ja, und?«
Widerwillig machte Meta sich daran, das Papier abzuziehen. Zum Vorschein kam das gut ein Meter hohe Bild, das sie in Davids Wohnung gesehen hatte. Auch von nahem übte es dieselbe Faszination auf sie aus, dennoch erkannte Meta sogleich, dass die Acrylfarbe nicht mit sonderlich ausgefeilter Technik aufgetragen worden war. Enttäuscht stellte sie fest, dass es keine Signatur gab. Auch auf der Rückseite der Leinwand war keine Spur des Künstlers zu finden.
»Keine Liebesgrüße?«, fragte Rahel. Sie streckte die Hand nach dem Bild aus, und als Meta zögerte, hielt sie ihr die Trüffel zum Tausch hin. Meta legte den Kopf schief, doch schließlich ging sie auf den Handel ein. Mit krauser Stirn betrachtete Rahel die Leinwand. Nach einiger Zeit drehte sie sie auf die Seite und dann auf den Kopf, ohne dass sich auf ihrem Gesicht so etwas wie Verständnis abzeichnete.
»Für mich sieht das aus wie Malen nach Zahlen.«
Den Mund voller Himbeer-Mousse streckte Meta beleidigt die Hand aus, aber Rahel ignorierte sie.
»Du hältst es verkehrt herum«, brachte Meta mit schwerer Zunge hervor und griff nach ihrem Kaffeebecher. »So herum gehalten, steht das Gebäude auf dem Kopf.«
»Und woher willst du das wissen? Gibt es hier vielleicht versteckte Hinweise, die für Menschen aus der Buchhaltung unsichtbar sind?«
Gereizt sprang Meta auf die Beine und holte sich das Bild kurzerhand zurück.Wie einen Schatz presste
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