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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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linker Arm war immer noch steif und zu wenig nütze. Trotzdem hütete David sich, hilfreich einzuspringen. Dafür kannte er Nathanel zu gut. Bis dieser das Fleisch gebraten und aufgegessen hatte, schwiegen die beiden Männer.
    David schaute zum Fenster hinaus, obwohl durch die Gardine kaum etwas zu erkennen war. Vor lauter Anstrengung, an nichts Besonders zu denken, schwitzten seine Hände, und er versuchte, sie unauffällig an seiner Jeans trockenzureiben. Dabei bildete er sich gar nicht erst ein, dass seine Nervosität Nathanel entging. Der Mann mit der Habichtsnase war Hagens rechte Hand, und mit vielen Dingen kannte er sich unleugbar besser aus als sie alle zusammen. Ohne Zweifel wusste Nathanel ganz genau, dass der junge Mann vor ihm etwas verbarg.
    »Tut mir leid, dass ich dich in der Reha nicht besucht habe«, sagte David, als Nathanel das Besteck aus der Hand legte und sich im Stuhl zurücklehnte. »Aber irgendwie ist die Zeit so schnell vorbeigegangen, und ich hatte es einfach nicht im Kopf.«
    Nathanel winkte lediglich ab. »Zeitgefühl ist nicht gerade unsere Stärke. Außerdem hätte es Hagen bestimmt nicht gern gesehen, wenn du das Revier verlässt.Wozu auch? War ja nicht viel los mit mir.«
    David nickte langsam. Zumindest Nathanel meinte das, was er sagte. Doch David hatte weniger sein mangelndes Interesse von einem Besuch abgehalten, als die seltsame Furcht, die der abgezehrte Mann in ihm weckte. Obwohl Nathanel niemals Anzeichen eines väterlichen Interesses gezeigt hatte, erinnerte er ihn an Convinius. Oder vielmehr an die Rolle, die er sich damals als Junge von Convinius erhofft hatte: jemand, der einem das seltsame Leben, in das man geworfen  worden war, erklärte. Jemand, der einem die Nähe gab, die ihm in der eigenen Familie fehlte. Die ihm dort gar nicht gegeben werden konnte, weil er ganz und gar anders war. Dass er sich immer noch so bedürftig fühlte, ärgerte David. Aus diesem Grund hatte er Nathanel nicht in der Reha besucht, als dieser nach einem Schlaganfall zusammengebrochen war und er ihn im Hinterhof des Palais liegend vorgefunden hatte. Dabei hatte Nathanel mit letzter Kraft ausgerechnet nach ihm gerufen. Hagen hatte David später regelrecht gelöchert, wie er bei dem im Sterben liegenden Mann sein konnte, bevor einer der anderen überhaupt etwas mitbekommen hatte. Aber David hatte den Hilferuf verschwiegen und es als Zufall abgetan. Etwas anderes konnte es auch gar nicht gewesen sein, denn Nathanel griff zwar bei Aufträgen stets auf David zurück, kümmerte sich ansonsten jedoch einen feuchten Dreck um ihn. Selbst dieses Erlebnis hatte nichts daran geändert: Nathanel hatte ihm durch Hagen seinen Dank ausrichten lassen, und damit schien die Sache für ihn erledigt. David war das nur recht.
    »Hast du schon mit jemandem gesprochen? Ich meine darüber, was hier in den letzten Monaten so gelaufen ist?«, fragte David vorsichtig und ertappte sich dabei, dass er erneut mit den Händen über die Oberschenkel rieb. Dann legte er sie demonstrativ auf die Tischplatte und schwor sich, dass sie für den Rest des Gesprächs dort liegen bleiben würden.
    Nathanel stocherte mit einem Streichholz zwischen seinen Zähnen herum. »Meinst du das Gestöhne über Amelias Größenwahn, das ganze Gequatsche über Ritualopfer oder die Tatsache, dass du dich wegen irgend so einem heißen Zufallstreffer überhaupt nicht wieder einkriegst?«
    Davids Finger zuckten verräterisch, und er konzentrierte sich darauf, sie wieder zu entspannen. Nathanel schien sich eh nicht allzu viel aus seiner Reaktion zu machen.Warum auch?  Er wusste schließlich, wie es um David bestellt war, egal wie viel Energie der darauf verwendete, seine Empfindungen abzuschirmen. Das war in Nathanels Nähe ein sinnloses Unterfangen, aber der ältere Mann wusste die Bemühungen zu schätzen. Die meisten von ihnen brachten nicht einmal ansatzweise den Ehrgeiz mit, ihre Intimsphäre vor dem Rest der Meute abzugrenzen.
    »Beruhige dich«, sagte Nathanel. »Ich habe weder vor, mich auf deine Kosten zu amüsieren, noch, dir die Leviten zu lesen. Du bist erfahren genug, um zu wissen, wie solche Liebesgeschichten ausgehen.« Mit behäbigen Schritten ging er zur Spüle, goss sich ein Glas Wasser ein und trank es in einem Zug leer. Dabei wandte er David den Rücken zu, der die Gelegenheit ausnutzte und ihn betrachtete. Doch ganz gleich, wie sehr er sich auch konzentrierte, es gelang ihm nicht, hinter die Fassade dieses Mannes zu blicken. Im

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