Wintermond
Gegensatz zu ihm verfügte dieser nämlich über die Gabe, sich vor der Neugierde anderer zu verschließen.
Schließlich drehte Nathanel sich wieder um. »Du hättest Hagens Angebot nicht so leichtfertig ausschlagen sollen. Wärst du darauf eingegangen, dann könntest du jetzt nicht nur mein Verhalten besser abschätzen, sondern auch deine offensichtlichen Bedürfnisse besser kaschieren. Wahrscheinlich hast du gedacht, dass du Hagen kräftig eins auswischst, indem du sein Vertrauen enttäuschst.«
»Sagen wir, ich habe einfach keine Lust, Leichenteile zu fressen, nur weil es Hagen in den Kram passt.« Davids Brauen zogen sich trotzig zusammen.
»Leichenteile fressen? Dafür hältst du das Ritual?« Nathanel schüttelte den Kopf, als könne er so viel Dummheit nicht fassen. »Was hat dieser Trottel dir eigentlich beigebracht, mit dem du dich so lange im Niemandsland versteckt hast?« Als David sich anschickte, eine zornige Antwort zu geben, winkte Nathanel ab und sah mit einem Mal sehr erschöpft aus. »Vergiss es. Das geht mich alles nichts an. Außerdem sollten wir jetzt zusehen, dass wir loskommen. Sonst kommt Hagen noch auf die Idee nachzuschauen, was wir hier unten so lange treiben, obwohl er uns doch einen Auftrag erteilt hat.«
David trat einen Schritt zurück und zog mit dieser erneuten Bewegung Rene Parlas’ Aufmerksamkeit auf sich. Obgleich Parlas unter seinem Maßanzug den wohlgepflegten und durchtrainierten Körper eines Vierzigjährigen verbarg, brach ihm bei der leichten Drehung des Oberkörpers der Schweiß aus. Mit einem wütenden Blick fixierte er David, der in der Nähe der Tür stand, bis Nathanel mit einem Klatschen beide Hände auf den Couchtisch vor ihm legte.Widerwillig wandte Parlas sich seinem Gesprächspartner zu, zückte ein Taschentuch und wischte sich über die Stirn. Es trug nicht zur Verbesserung seiner Stimmung bei, dass er seine Gereiztheit nicht überspielen konnte, obwohl stete Gelassenheit zu seinem Berufsimage gehörte.Allerdings hatten Nathanels Andeutungen ihn bereits an die Grenze seiner Belastbarkeit gedrängt, mehr wollte er nun nicht mehr hinnehmen.
»Ich weiß, dass Sie mir diesen Kerl im Nacken positioniert haben, um mir auf die Nerven zu gehen. Verstehe ich vollkommen, eine alte und immer noch beliebte Taktik. Aber es dürfte doch für Ihre Zwecke ausreichen, wenn er seiner Aufgabe hinter der Tür nachgeht. Ich habe ja nun begriffen, dass Sie mir jederzeit diesen großen, gefährlichen Kerl auf den Hals hetzen könnten, wenn ich mich nicht ordentlich um Ihr Anliegen bemühe. Aber seine Anwesenheit motiviert nicht, sondern lenkt mich ab. Und wir wollen dieses Gespräch doch möglichst rasch über die Bühne bringen, oder?«
Das Treffen hatte von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden, weil Nathanel und David zu früh im Haus des Mittelsmanns aufgetaucht waren. Frau Parlas, eine ausgesprochen junge und attraktive Frau, hatte ihnen geöffnet und erstaunt zugesehen, wie ihr Mann diese beiden heruntergekommenen Kerle in ihr Wohnzimmer geführt hatte.
»Ich finde, der Junge macht sich dort ganz gut«, erklärte Nathanel, während er David zugleich einen strengen Blick zuwarf.
Demonstrativ versenkte David seine Hände in den Jackentaschen. Normalerweise machte er sich nicht viel aus dieser Art Job, die eigentlich nur darin bestand, herumzustehen und höchstens einmal jemanden grob bei der Schulter zu packen. Auf die Weise machte er Nathanels Gesprächspartner klar, wer bei den Verhandlungen den Ton angab. Dies war einer der Vorteile, wenn man in Hagens Hierarchie unten stand: Man musste zwar die Drecksarbeit erledigen, aber man machte sich nicht wirklich die Hände schmutzig. Dafür war man zu unwichtig.
Parlas seufzte ergeben. »Dann soll er wenigstens still stehen. Dieses ständige Gezappel irritiert mich.«
Rene Parlas war ein Mittelsmann, über den Hagen mit seiner Konkurrenz in Kontakt blieb. Ein Mann, der sein Einkommen mit seinem Mundwerk verdiente, indem er die eher grobschlächtigen Befehle seiner Auftraggeber wohlklingend weitervermittelte. An diesem Nachmittag musste David nicht befürchten, dass Nathanel ihn plötzlich auffordern könnte, Herrn Parlas mit ein paar gezielten Schlägen auf die Sprünge zu helfen. Selbst Rene Parlas befürchtete dies nicht, denn er hatte weder seinerseits auf einen zweiten Mann bestanden, noch wies sein Anzug irgendwelche verräterischen Ausbeulungen auf, die auf eine versteckte Waffe deuten könnten. Hätte ihm in
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