Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
bereits die Hand zur Faust, doch Nathanel zwang ihn, innezuhalten. Der ältere Mann hatte nämlich instinktiv begriffen, was David durch den Kopf ging. Sogleich hatte sich auf seinem Antlitz ein Schemen ausgebreitet, als wäre er für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Licht getreten. Die Gestalt seines Schattens, soeben noch unsichtbar auf dem hellen Sofabezug.
    veränderte sich.Als der Schatten sich selbstständig aufrichtete, verriet seine verschwommene Kontur, dass er nicht länger die Silhouette eines Menschen ausmachte. Und schon setzte er zum Sprung an.
    David hatte keine Chance, sich zu wehren. Er wurde so fest an der Kehle gepackt, dass ihm augenblicklich die Tränen in die Augen stiegen. Gefährlich scharfe, doch durchscheinende Reißzähne drohten die Haut zu durchstoßen. Unter dem Gewicht des Schemens sank er zu Boden, obwohl sein Verstand behauptete, dass er nicht einmal so schwer wie eine Feder sein durfte. Aber David wusste es besser. Es hätte nicht einmal des drohenden Knurrens bedurft, um ihn zur Räson zu bringen. Diesem Gegner, der im Licht des Nachtmittags nicht mehr als ein Trugbild zu sein schien, war er in keinerlei Hinsicht gewachsen. Erst als er seine Muskeln entspannte und somit seine Unterwerfung eingestand, ließ der Griff um seine Kehle nach.
    Auch Parlas hatte das furchterregende, heiser klingende Knurren vernommen, das den Raum mit einem Beben erschüttert hatte. Sein Redefluss war schlagartig versiegt, nur sein Mund schnappte weiter auf und zu.
    Der Schatten, dessen rasch verbleichende Silhouette an einen Wolf erinnerte, eilte zu seinem Herrn zurück und streifte dabei Parlas’ Schulter. Dieser zuckte derart zusammen, dass seine ruckartig hochgerissenen Knie sein Kinn rammten. Obgleich er sich mit der Haltung der Lächerlichkeit preisgab, starrte er Nathanel lediglich mit schreckgeweiteten Augen an. Nur hochrangige Rudelmitglieder verfügten über die Fähigkeit, sich von ihrem Wolf zu trennen und sich wieder mit ihm zu vereinen. Die anderen blieben für immer mit ihm verschmolzen.
    »Dazu solltest du gar nicht … dazu … sich von seinem Schatten zu trennen, ist ein Privileg der Anführer«, stammelte Parlas. »Das kann sonst niemand, es ist zu schwierig.«
    Nathanel zuckte mit den Schultern, dann erhob er sich mit viel Geächze von der Couch, wobei sein Schatten ihm wie ein Scherenschnitt folgte. Es brauchte einen Augenblick, bis er sich aufgerichtet und die Balance wiedergefunden hatte. »Vertagen wir dieses Gespräch«, sagte er, und seine Hand zitterte vor Erschöpfung, als er sich das Haar hinter die Ohren strich. »Bleiben Sie sitzen, Parlas. Wir finden allein den Weg nach draußen. Immer der Nase nach, sozusagen.«
    Als er an David vorbeiging, verpasste er ihm einen Klaps gegen den Oberarm, damit dieser sich in Bewegung setzte. Rene Parlas hingegen rührte sich nicht vom Fleck, nur sein Blick folgte ihnen.
     Obwohl Parlas’ Penthouse im achten Stock lag, Nathanel Probleme mit dem Gleichgewicht hatte und David immer noch von der rüden Zurechtweisung benommen war, nahmen sie  die Treppe statt den Fahrstuhl. Draußen auf der Straße empfing sie Nieselregen. Nathanel fluchte und zog sich umständlich seine Jacke über, während David scheinbar teilnahmslos den Verkehr beobachtete.
    »Hör auf, dich wie ein kleines Mädchen zu benehmen«, sagte Nathanel schließlich. Dabei versuchte er, einhändig die Jacke zuzuknöpfen, was ihm mehr schlecht als recht gelang. »Es gibt keinen Grund, eingeschnappt zu sein, weil ich dich an die Leine gelegt habe.« Endlich warf David ihm einen zornigen Blick zu, auf den er mit einem Seufzen reagierte. »Du wolltest Parlas ins Gesicht springen.«
    »Ich hätte mich schon wieder eingekriegt«, behauptete David gereizt.
    »Das sah aber anders aus.«
    »Ach ja?«
    Nathanel beobachtete, wie Davids Hände sich zu Fäusten ballten. Erneut kämpfte er mit den Knöpfen, dann gab er auf. So schlimm war der Nieselregen nun auch wieder nicht. »Dafür, dass du so gern Hagens Fußabtreter spielst, reagierst du ganz schön empfindlich, wenn man dich mal ein wenig rannimmt. Unterwürfigkeit und ein hitziges Temperament passen eigentlich nicht zusammen, sollte man meinen.«
    Einen Augenblick lang war David versucht, den älteren Mann einfach stehenzulassen. Er spürte einen blinden Zorn, der danach drängte, sich an etwas abzuarbeiten. Wäre Jannik an seiner Seite gewesen, hätte er ihn wahrscheinlich zu einer kameradschaftlichen Rangelei genötigt. Doch

Weitere Kostenlose Bücher