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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Wissen, dass sie für diesen Sieg sicherlich noch  würde zahlen müssen. Nachdenklich nippte sie an ihrem Kaffee und verzog das Gesicht, weil dieser inzwischen eiskalt war. Genau wie ihr Büro, wie sie in einem Anflug von Melancholie feststellte.
    Die Galerie lag verlassen da. Rahel hatte schon vor einiger Zeit den Kopf zur Tür hineingesteckt und ihr gesagt, dass sie zu ihrer Theaterprobe wolle und die Alarmanlage in den Ausstellungsräumen bereits aktiviert habe. »Sieh zu, dass du nach Hause kommst. Spann doch einmal in der Badewanne aus, oder tu dir sonst etwas Gutes«, hatte Rahel sie noch aufgefordert. Doch Meta war die Vorstellung, allein in ihrem Apartment zu hocken und sich Wein nachzuschenken, wenig verlockend erschienen. Allmählich schmerzte ihr jedoch der Rücken vom vielen Sitzen, und draußen herrschte eindringliche Dunkelheit. Sie wollte gerade aufstehen, um sich einen neuen Kaffee zu machen, als plötzlich ein Lichtschein unter ihrer Bürotür zu erkennen war. Obwohl ihr der Gedanke an einen Einbruch abwegig erschien, spürte Meta, wie ihr das Herz dumpf bis zur Kehle schlug. Angespannt blieb sie sitzen und lauschte. Als es an ihrer Tür klopfte und diese sogleich aufschwang, stieß sie einen leisen Schrei aus und krallte sich an der Schreibtischplatte fest.
    Karl blickte sie mit großen Augen an, während er die Tür hinter sich schloss. »Ich habe dich doch hoffentlich nicht zu sehr erschreckt?«
    Meta schüttelte nur stumm den Kopf, unfähig, die Angst von einem Moment auf den nächsten abzustreifen.
    Karl hielt sich kurz die Hand vor den Mund, als wolle er seine Verlegenheit überbrücken, und tatsächlich gelang ihm sogar ein einnehmendes Lächeln. Neben seinen Mundwinkeln zeichneten sich Grübchen ab, und seine gerade Nase bog sich leicht nach unten - ein Merkmal, das er von seinem Vater geerbt hatte und auf das er sehr stolz war. Meta schaute ihn  bloß an und hoffte, er würde sie nicht umarmen wollen. Karl schritt zwar auf sie zu, aber so nahe wagte er sich nicht an sie heran. Stattdessen blieb er vor ihrem Schreibtisch stehen und zuckte ratlos mit den Schultern.
    »Es tut mir leid, dass ich hier so reinschneie. Aber bei dir zu Hause bin ich bereits gewesen, und da ich noch den Galerieschlüssel habe, wollte ich es einfach mal hier versuchen und nachfragen, ob du vielleicht Lust auf einen Drink hast.«
    Karl stand in seiner typisch selbstsicheren Haltung da, seine Fingerspitzen tippten jedoch nervös gegen die Tischplatte. Unter dem offen stehenden Mantel trug er einen dunklen Anzug mit Krawatte, der verriet, dass er nach seinem Tag im Auktionshaus nicht erst in seine Wohnung gegangen war, um sich umzuziehen. Nun saß die schmale Krawatte schief, und das stets perfekt zurückgekämmte Haar fiel ihm zersaust in die Stirn. Beides verriet, dass er sich sehr beeilt haben musste - sehr untypisch für ihn.
    »Ich dachte, es täte uns beiden gut, wenn wir uns endlich wieder einmal richtig gegenüberstehen. Am Telefon bist du in der letzten Zeit immer so distanziert gewesen«, fuhr er leicht stockend fort, weil Meta sich weiterhin weigerte, sich seiner zu erbarmen und etwas zur Begrüßung zu sagen. »Du bist ganz schön wütend auf mich, nicht wahr? Ehrlich gesagt, kann ich es dir nicht verübeln.Vermutlich konnte sich eine unserer gemeinsamen guten Freundinnen nicht beherrschen und hat es dir erzählt.«
    Karl hielt inne, als müsse er sich für seine folgenden Worte rüsten. Sein Gesicht wirkte nun ausgesprochen streng, weil es nicht länger von einem Lächeln beleuchtet wurde. Schatten gruben sich unter den Wangenknochen ein, und die grauen Augen wirkten mit einem Mal müde. Meta fragte sich, ob er sich genauso abgehetzt fühlte, wie er aussah - nicht, dass Karl jemals zugegeben hätte, wie sehr sein Leben ihn auffraß.
    »Das mit Reese«, fuhr er vorsichtig fort, »war nur ein Abenteuer. Ich weiß wirklich nicht, was mich da getrieben hat. Du kennst sie ja, sie ist das absolute Gegenteil von dir.Vermutlich hat mich genau das gereizt, anders kann ich es mir nicht erklären. Die Geschichte ist allerdings schon seit einigen Wochen vorbei, und du kannst mir glauben, dass mich das alles mehr beschämt als dich.«
    »Lass es gut sein, Karl.« Überrascht stellte Meta fest, wie wenig ihr dieses Geständnis ausmachte.Wie wenig Karls Anblick sie überhaupt berührte. Sie konnte sein gut geschnittenes Gesicht betrachten, ohne sich vorstellen zu müssen, wie es sich dem von Reese Altenberg näherte.

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