Wintermond
worden war, den Dämon stets zu unterdrücken. Erst seit er unter Hagens Führung lebte, hatte David begriffen, dass nicht jeder Wolf dazu bestimmt war, an Stärke zu gewinnen. Die meisten Wölfe im Rudel zeichneten sich durch ein unterwürfiges Naturell aus, so wie bei Jannik. Von Hagen und seinen Getreuen abgesehen, gelänge es den meisten Dämonen niemals, einen der höheren Ränge im Rudel zu bekleiden, denn sie zeigten nur selten das Verlangen, sich zu behaupten. Sie kauerten in den Höhlen, die ihre Hüter für sie waren, und solange ein starker Anführer sie leitete und sie an seinem Leben teilhaben ließ, waren sie zufrieden. Es waren die Menschen, die sich nach einem kraftvolleren Dämon sehnten, die sich von Taten erzählten, die sie so niemals vollbracht hätten. Es war ja nicht so, dass David diesen Hang zum Geschichtenerzählen nicht verstehen konnte. Aber der Stolz, den die Rudelmitglieder für ihren Dämon hegten, war ihm fremd.
Für gewöhnlich gönnte David dem Dämon eine Zeit lang seinen Blick auf die Welt, dann konzentrierte er sich wieder auf seine menschliche Wahrnehmung. Stets war er darauf bedacht, dem Wolf nicht zu viel Freiraum zuzugestehen, auch wenn es sie beide schmerzte. Kurz schloss er darum die Augen und raubte dem Wolf somit den Blick auf die Welt. In der Vergangenheit hatte er die Erfahrung machen müssen, dass er sich dem Dämon immer mehr annäherte, je länger er die Wolfssicht beibehielt. Obwohl dieser Berührung etwas durchweg Angenehmes innewohnte, misstraute David ihr. Zu lange hatte er sich Convinius’ Ansichten über den Wolfsdämon anhören müssen, um nicht eine instinktive Abneigung zu hegen, wenn der Wolf mit ihm verschmelzen wollte. Allerdings ließ sich die dämonische Wahrnehmung niemals vollends ausblenden, sie lag wie ein durchscheinender Film über allen Dingen.
Nachdem David das Palais hinter sich gelassen hatte, sprang ihn im stets präsenten Gewühl der Fährten von Menschen, Tieren und sonstigen vielfältigen Eindrücken eine Spur regelrecht an, so vertraut war sie ihm.Vor einigen Wochen schon hatte er sie verfolgt, sich so sehr auf ihren schwachen, kaum noch wahrnehmbaren Ausläufer konzentriert, bis er sie inund auswendig zu kennen glaubte. Metas Fährte zu folgen, das war, als ob er ein komplexes Gemälde Schicht für Schicht wieder freilegte, bis nur noch ein einzelner Pinselstrich auf der Leinwand zurückblieb. Und sein Wolf war ihm dabei so behilflich, dass David das eine oder andere Mal angehalten hatte. Doch entgegen seiner Befürchtung wollte der Wolf ihn niemals zu einer Jagd anstiften.Vielmehr kam es ihm so vor, als teilte der Dämon seine Sehnsucht nach dieser einen Frau.
Metas Fährte war an diesem Morgen von einer solchen Deutlichkeit, dass es ihm fast den Verstand raubte. Der Schrecken der letzten Nacht, als er einen Moment lang in der namenlosen Fremden eine von seinem Rudel gestellte Meta erkannt zu haben glaubte, saß ihm noch in den Knochen.Auch der Blick, den Meta ihm in der Galerie zugeworfen hatte, der verächtliche Zug um ihren Mund, war ihm ausgesprochen lebhaft in Erinnerung geblieben. Dass sie nun seinetwegen in dieser Gegend war, konnte er nicht erwarten, oder doch? Denn was trieb sie hier? Einerseits wollte er dieser Frage nur allzu gern nachgehen, andererseits wollte er sich eine weitere Zurückweisung ersparen. Die letzten Wochen waren auch so hart genug gewesen, die feixenden Bemerkungen und die Fragerei, wann er wohl mal wieder zum Zug kommen würde, hatten Spuren hinterlassen.
Während er sich noch zu einer Entscheidung durchzuringen versuchte, übernahm sein Körper das Kommando, und er hastete durch die Straßen. In dem Moment, als Meta unvermittelt ihre Arme um seinen Nacken schlang, wich auch der letzte Rest Vernunft. Nun, zumindest die anzüglichen Sprüche gehörten jetzt sicher nicht so schnell der Vergangenheit an.
Das schlechte Gewissen ließ David die Augen aufreißen. Mit seinem Unvermögen, Gefühle und Gedanken von Bedeutung zu verbergen, hatte er Meta den gierigen Blicken seines Rudels ausgeliefert. Er hatte sie zum Allgemeingut einer johlenden Horde gemacht. Ein jeder, der in der Rangordnung über ihm stand - und das taten offiziell fast alle -, hatte miterleben können, wie es war, diese Frau zu lieben.
Mit einem Stöhnen setzte David sich auf der Matratze auf und fuhr sich verzweifelt mit den Händen durchs Haar. Neben ihm rührte sich Meta und warf ihm einen schlaftrunkenen Blick zu. »Alles in
Weitere Kostenlose Bücher