Wintermond
zu.Was für ein Zufall es doch gewesen war, dass er Metas Fährte an diesem Mittag unweit seiner Wohnung aufgespürt hatte. Während er mit geschlossenen Augen dalag, ließ er die Geschehnisse der letzten Nacht Revue passieren.
Nach einer für alle Beteiligten unangenehmen Taxifahrt drückte er einem verstört dreinblickenden Fahrer ein paar Banknoten in die Hand. Immer noch ganz benommen, geleitete er die junge Frau in das Palais und fiel prompt Amelia in die Hände.
»Gehört sie dir?«, fragte Amelia mit einem anzüglichen Lächeln und legte dabei eine Fingerspitze auf den Amorbogen ihrer schön geschwungenen Oberlippe.
David hätte gern ihre Hand fortgewischt. Die verspielte Geste ärgerte ihn, dafür kannte er die Vorlieben von Hagens Gefährtin zu gut. Aber auch genau aus diesem Grund unterließ er es. Amelias zierliche Gestalt, von der eine verwirrende Sinnlichkeit ausging, war nicht die ausschlaggebende Größe bei einem Kräftemessen. Sie stand aus gutem Grund an Hagens Seite, denn sie war ihrem Anführer in vielerlei Hinsicht gewachsen. Doch während es bei Hagen seine unberechenbare Ader und seine unvermittelt ausbrechenden Wutanfälle waren, vor denen sich das Rudel fürchtete, so verfügte Amelia über zwei Gesichter, was fast noch beunruhigender war. In einem Moment konnte sie zuckersüß sein und einen im nächsten bis aufs Blut demütigen. Hagen neigte zur Brutalität, Amelia dagegen ging bei ihren Ausfällen mit einer Raffinesse vor, die mehr auf die Erniedrigung als auf die Unterwerfung ihrer Opfer abzielte.
Darum wog David seine Worte auch sorgsam ab, bevor er antwortete: »Ich habe das Mädchen nur hierhergebracht.« Als Amelia enttäuscht die Lippen schürzte, fügte er hastig hinzu: »Nathanel wollte das so.«
»Und was will Nathanel, das du mit ihr anstellst?« Mit diesen Worten strich Amelia der jungen Frau das Haar aus dem Gesicht. Einen Augenblick lang sah es so aus, als hätte das Mädchen ihr am liebsten in die Hand gebissen. Doch bei Amelia überlegte man es sich zweimal, ob man sich wirklich mit ihr anlegen wollte, das begriff selbst diese Fremde instinktiv.
»Ich passe auf sie auf, bis Nathanel zurück ist. Dann gehe ich.«
»Wenn du mich fragst, solltest du bleiben. So eine hübsche Beute lässt man nicht einfach aus den Augen.« Erneut schenkte Amelia ihm ein Lächeln, das nichts Freundliches enthielt. Es erinnerte David eher an eine höhnische Tierfratze.
Bevor man ihm seine Gedanken ansehen konnte, senkte er den Blick und ging mit der jungen Frau, die sich auffällig dicht in seinem Schatten hielt, in eins der abgelegenen Zimmer. Das Mädchen begutachtete kurz ihre wunden Füße, dann schlief sie auf einem Deckenlager ein. David setzte sich mit dem Rücken gegen die Tür und versuchte, seine Müdigkeit zu vergessen. Stunden später tauchte endlich ein erschöpft aussehender Nathanel auf und entließ David mit einer Geste in den anbrechenden Tag.
»Tut mir leid, dass du so lange auf mich warten musstest, aber ich habe Jannik noch zu seinem Köter begleitet. Bin mir nicht ganz sicher, aber als wir vor Ruths Tür standen, hat es irgendwo in den Schatten geknurrt. Mathol dürfte wegen meines Escort-Dienstes ziemlich angefressen sein, er lässt sich nicht gern um seinen Spaß bringen.Vielleicht solltest du deinem kleinen Freund in den nächsten Tagen Gesellschaft leisten, würde euch beiden guttun«, sagte Nathanel mürrisch.
»Danke!« Tatsächlich war seine Sorge um Jannik immer größer geworden, während er Stunde um Stunde gewartet hatte. Vor Erleichterung schlug er gegen die Wand. Bei dem knallenden Geräusch stöhnte die junge Frau im Schlaf auf, so dass David schuldbewusst zusammenzuckte. Er hätte gern erfahren, was mit ihr geschehen sollte.Aber ein Blick auf Nathanels Gesicht hatte ausgereicht, um ihm klarzumachen, dass er von diesem Mann erst einmal keine weiteren Gefälligkeiten mehr zu erwarten hatte. Deshalb verließ er hastig das Palais, darauf bedacht, niemandem über den Weg zu laufen.
Für gewöhnlich hielten sich die Rudelmitglieder im Palais auf. Oder, wenn man Hagens Wege nicht unnötig kreuzen wollte, in einem der angrenzenden Häuser. Um sich bei Laune zu halten, erzählten sie sich gegenseitig Geschichten. Nun, es waren tatsächlich Geschichten - wenn auch immer dieselben -, denn die meisten Rudelmitglieder führten ein zurückhaltendes Leben. Trotzdem drehten sich die meisten Gespräche um übermenschliche Kräfte, kaum bezwingbare Triebe und die
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