Wintermond
aufstieß, die ihn passieren ließen. Ohne zu zögern, war er der Einladung gefolgt, war in sie und durch sie hindurchgetaucht, um vollkommen unverhofft Gestalt anzunehmen, während sein Hüter im Schlaf nicht einmal zuckte.
Nun stand er schon seit langer Zeit neben dem Bett und wartete darauf, dass er jenes drohende Zerren spürte, das ihn seiner Form beraubte, ihn zu vernichten drohte, wenn er nicht augenblicklich zu seinem Hüter zurückkehrte. Doch nichts geschah. Er hörte den Atem der beiden Menschen, ihren Herzschlag, spürte die Wärme, die ihre ruhenden Körper abstrahlten. Draußen herrschte noch tiefste Nacht, doch er nahm bereits die ersten Zeichen für das Erwachen der Stadt wahr.
Vorsichtig näherte er sich dem Gesicht der schlafenden Frau. Unter ihren Lidern rasten die Augäpfel hin und her, während sie unbeweglich dalag. Nicht mehr lange, dann würde sie diese Phase des Traumes verlassen, und die Tore würden sich wieder schließen - das verstand er nun. Dann musste er zurückkehren, und nur ihr Funkenregen würde ihm die Dunkelheit erträglich machen. Bis dahin bettete er seinen Kopf neben ihr auf das Kissen und nahm sie mit allen Sinnen wahr.
Als David aufwachte, war es bereits später Morgen. Während er sich die noch müden Augen rieb, flackerte immer wieder Metas Gesicht vor ihm auf, mit entspannten Zügen, schlafend. Ihm war, als habe er die halbe Nacht nur davon geträumt, sie zu betrachten und ihre pure Gegenwart zu genießen. Diese Bilder kamen ihm unendlich real vor, indessen die sich ihm aufdrängende Welt, die aus Verkehrslärm und Tageslicht bestand, fremd wirkte. David hatte weder eine Ahnung, wo er sich eigentlich befand, noch erinnerte er sich an Geschehnisse, bevor er in diesen tiefen Schlaf gefallen war.
Er rollte sich auf die Seite und tastete nach jemandem, der nicht da war.Widerwillig öffnete er endlich die Augen, und es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er diesen Raum nicht kannte. Die Wände waren hellblau gestrichen und wurden von einigen schlicht gerahmten Zeichnungen geschmückt. Weiß lasierte Holzmöbel und ein Strauß frischer Teerosen auf einer Kommode strahlten etwas so Weibliches aus, dass er unwillkürlich lächeln musste. Der Rosenduft verriet ihm, bei wem er Unterschlupf gefunden hatte. So sah also das Schlafzimmer der nach außen stets so mondän und steif wirkenden Meta aus. Es gefiel ihm ausgesprochen gut. Er konnte gar nicht anders, als sein Gesicht erneut an das kühle Leinen der Kissen zu schmiegen und tief einzuatmen. Seine Sinne reagierten auf diesen Reiz mit einer solchen Intensität, dass er anschließend nicht zu sagen vermochte, wie lange er so versunken dagelegen hatte.
Schließlich kam David eine Idee, bei der er sich blitzschnell aufsetzte.Warum sich mit einem duftenden Kissen zufriedengeben, wenn sich Meta wahrscheinlich in unmittelbarer Nähe befand?
Als er die Beine über den Bettrahmen schwang, musste er jedoch ein schmerzverzerrtes Ächzen unterdrücken, was ihn an seinen geschundenen Körper erinnerte. Für den Bruchteil einer Sekunde flackerten Bilder aus dem Audienzsaal vor seinem inneren Auge auf, doch David ließ sie an sich vorbeiziehen, ohne eine Empfindung aufsteigen zu lassen. Hagens Ruf war ihm noch weit über die Grenzen des Reviers gefolgt, und einige Male hatte er sich dabei ertappt, in das Palais zurückkehren zu wollen. Auch hatte sich die Trennung vom Rudel mit jeder Stunde grauenhafter angefühlt, als habe er sich selbst willentlich ein Körperteil abgeschlagen.Trotzdem war David weitergegangen. So hatte er die Zeit nach dem Ritual verbracht: jeden Gedanken vermeidend, umherirrend, während der gestärkte Wolf seine Wahrnehmung Stunde um Stunde mehr in ein neues Licht tauchte.
Nach dem Ritual hatte der Dämon seinen Körper und Geist in ein Chaos gestürzt, und nur langsam hatte sich daraus etwas Neues zusammengesetzt - was es war, konnte David immer noch nicht genau sagen. Seine Sinne waren schärfer, und er glaubte die Präsenz des Wolfes so deutlich wahrzunehmen, als handele es sich um ein tatsächliches Gegenüber und nicht nur um einen Schatten, der in seinen Tiefen auf seine Chance lauerte. David hatte immer geglaubt, dass ein erstarkter Wolf ihn zu dominieren versuchen würde. Stattdessen hatte er sich bislang wie ein Freund verhalten, der sogar Davids Entscheidung, das Rudel zu verlassen, akzeptiert hatte.
Eine verschwommene Erinnerung stieg in ihm hoch, die das Lächeln auf Davids Gesicht wieder
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