Wintermond
Instinkt flüsterte ihr zu, dass von dem T-Shirt ein schwerer Geruch ausging, der sie vermutlich an Kupfer erinnern würde, wenn David nicht stets von diesem betörenden Duft umgeben wäre. Ein Blick auf seine Jeans zeigte zwar keine weiteren Flecken, aber das mochte daran liegen, dass sie zu dunkel war.
Auch Karl schien eine ähnliche Vermutung durch den Kopf zu gehen, denn er erbleichte. Meta presste ihre Zähne so fest aufeinander, dass der Druck bis unter die Schädeldecke spürbar war. So, wie die Flecken auf dem T-Shirt aussahen, dürfte das Blut David nicht einfach aus der eigenen Nase gelaufen sein.
David bekam von ihrer Beklemmung nichts mit, denn er rieb sich ausgiebig die vor Übermüdung geschwollenen Augenlider. An seinem Unterarm prangte dunkel eine verschorfte Bisswunde auf. Erst dann warf er einen Blick auf die Gesellschaft, die sich hinter Metas Rücken verbarg. Fünf schamlos neugierige Augenpaare stierten ihn an.
Da knurrte der Wolf in David. Es war ein tiefes Hallen, das nichts mit der Drohgebärde eines echten Wolfes gemeinsam hatte. Es war kein Geräusch, das von Schallwellen zum Trommelfell getragen wurde. Nein, es hatte einen viel unheimlicheren Ursprung. Es grub sich direkt ins Stammhirn und rief jene uralten Fluchtreflexe wach, die in der modernen Gesellschaft zusehends verkümmerten. Der Wirkung dieser Drohgebärde vermochte sich niemand zu entziehen. Einen Augenblick später versammelten sie sich zu einer Gruppe, in der ein jeder sich am liebsten hinter dem anderen versteckt hätte. Allerdings wagte es niemand, durch den Flur an David vorbeizugehen. Mochte der Drang, sich in Sicherheit zu bringen, noch so stark sein, niemand wollte das Raubtier unnötig provozieren.
Nur Meta war gegen diese Drohgebärde immun, hatte sie nicht einmal als solche erkannt. In ihren Ohren wohnte dem Knurren etwas Trostloses inne, das einer tiefen Verzweiflung entsprang. Und dieses Gefühl war so stark, dass Meta kaum wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Sie verspürte nur das diffuse Bedürfnis, David Trost zu spenden. Eine zärtliche Geste würde dafür nicht ausreichen, aber alles in ihr drängte darauf, ihm endlich beizustehen. Nur das Wie war Meta schleierhaft.
Obwohl ihr der Schrecken deutlich anzusehen war, löste sich Eve aus der Gruppe, fegte am regungslosen David vorbei und ging hinter Rinzo in Deckung, der den jungen Mann wie ein überaus interessantes Objekt studierte. Währenddessen hatte Karl seine Beherrschung wiedergefunden und umfasste Metas Oberarm, um sie von dieser furchteinflößenden Kreatur fortzuziehen. Da erst streifte David seine Benommenheit ab. Mit einem Schlag straffte er die Schultern und neigte den Kopf zur Seite. Die Augen waren dabei auf Karls Hand gerichtet, und in ihnen flackerte etwas auf, das die Wirkung des seltsamen Knurrens bei weitem überstieg.
Meta wusste ohne Zweifel, dass er es nicht bei einer Drohgebärde belassen würde, wenn sie nicht sofort etwas unternahm. »David«, sagte sie mit einer Bestimmtheit, dass sie beinahe selbst vor lauter vorauseilendem Gehorsam zusammengezuckt wäre. »Dort ist mein Schlafzimmer. Geh da rein und leg dich schlafen. Ich verabschiede jetzt meine Gäste.« Ohne seine Reaktion abzuwarten, wandte sie sich Karl zu, wobei sie seine Hand behutsam von ihrem Arm löste. Dann schob sie den blassen, aber auch zornig aussehenden Mann zu Rinzo und Eve hinüber.
Einen Moment lang stand David verblüfft da, dann drehte er sich um und ging zu dem Zimmer, auf das Meta gedeutet hatte. Als er die Tür hinter sich schloss, stieß Asam ein nervöses Kichern aus. »Der ist nicht ganz zurechnungsfähig, oder?«
»Ihm ist irgendetwas Schreckliches zugestoßen, das müsst ihr doch bemerkt haben.« Zu Metas Unglück war die Selbstsicherheit so unvermittelt aus ihrer Stimme verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Nun fühlte sie sich bloß müde und verwirrt und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sich die Gesellschaft ohne jeden Kommentar verabschiedete.
»Der Kerl hat uns angeknurrt!«
»Ach, komm schon,Asam. David wollte euch nur schockieren, weil ihr ihn wie ein exotisches Tier angestarrt habt.«
»Was er ja wohl auch ist«, ließ Emma vom Sofa her vernehmen, wo sie sich gerade erneut Champagner nachschenkte. Mit einem überlaufenden Glas kam sie zu den anderen hinüber, sichtlich beglückt über die spektakuläre Wendung, die dieser Abend genommen hatte. Offensichtlich hatte Davids Drohgebärde sie eher erregt als abgeschreckt.
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