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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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aber mit ihren aufwendig inszenierten Fassaden etwas Heimeliges ausstrahlten. Allein, dass es alten Baumbestand gab, ließ die Preise wahrscheinlich ins Unermessliche steigen. Außerdem war es von hier aus nicht sonderlich weit bis zur City, wo die meisten Bewohner zweifelsohne ihren Tagesgeschäften nachgingen.
    Obwohl die Wege entlang der schönen Häuser zu einem Spaziergang einluden, befand sich außer David niemand auf der Straße.Wie auch in anderen Stadtteilen hasteten die Menschen lediglich von ihrer Wohnungstür zum Wagen oder noch rascheren Schrittes zur nächsten öffentlichen Haltestelle. David wusste auch, woran das lag. Er hatte es Jannik einmal erklärt, der in dieser Stadt geboren war und niemals einen Fuß über ihre Grenzen gesetzt hatte, so dass er diese Gehetztheit für normal hielt.
    »Die Menschen hier sind immer auf der Flucht. Selbst in Saschas Revier in der Nähe der Ausgehmeile treiben sie sich im Pulk herum, und nur Betrunkene entfernen sich von der Herde«, hatte David seinem Freund erläutert, als sie wieder einmal auf den Stufen des Palais herumlungerten. »Eine Stadt wie diese sollte doch eigentlich von einer Schar von Obdachlosen und fliegenden Händlern belagert sein. Ist sie aber nicht. Auf den Straßen findest du nur Verrückte oder solche, denen nichts anderes übrigbleibt. Und sogar von denen nur wenige, wenn du einmal darüber nachdenkst.«
    »Wenn Hagen durch die Straßen streift, wird sein Wolf wohl kaum darauf verzichten, eine leichte Beute zu schlagen«, hatte Jannik mit geschwollener Brust geantwortet. Es gefiel ihm, sich mit den Taten seines Anführers zu schmücken, solange niemand etwas Ähnliches von ihm erwartete.
    David hatte ihn abwartend angesehen und erst weitergesprochen, als klarwurde, dass Jannik den Kern seiner Worte nicht erfasste. »Die Menschen in dieser Stadt spüren die Anwesenheit des Dämons«, hatte er ruhig erklärt und überhörte  Janniks Einwurf: »Der Wolf ist doch kein verdammter Dämon.« »Ihr Instinkt verrät ihnen, dass etwas Bedrohliches, etwas Unnatürliches unterwegs ist. Wer seine fünf Sinne einigermaßen beisammenhat, achtet darauf, sich möglichst wenig im Freien aufzuhalten, dort, wo die Raubtiere unterwegs sind. Hast du dich denn noch nie gefragt, warum wir alle mehr oder weniger davon abhängig sind, dass Hagen für uns sorgt?«
    Jannik hatte stumm den Kopf geschüttelt und dabei nicht unbedingt den Eindruck erweckt, als wolle er die Antwort wirklich wissen.
    »Weil wir in der normalen Welt nur schwerlich Fuß fassen. Wer will schon ein Auto von jemandem kaufen, dessen Anblick ihm einen Schauer über den Rücken jagt? Oder einen Handwerker in sein Haus lassen, der offensichtlich mit dem Gedanken spielt, dir den Kopf abzureißen, weil er deine Angst wittern kann? Ich weiß, darüber wird im Rudel nicht groß gesprochen, weil niemand sich sonderlich für die Welt dort draußen interessiert, solange Hagen sagt, wo es langgeht. Aber es ist nicht zu übersehen, dass die Menschen uns meiden. Es ist, als könnten sie an deinem Geruch erkennen, wer du in Wirklichkeit bist: ein verkleideter Wolf, der sich unter Schafe gemischt hat.«
    Obwohl Jannik sich sichtlich wand, hatte David nicht innegehalten. Von seinen eigenen Worten war eine bittersüße Faszination ausgegangen, weil sie ihm die aussichtslose Lage vor Augen führten. »Vielleicht geht der eine oder andere Mensch auf uns zu, doch spätestens wenn sie das erste Mal eine Schwäche zeigen und der Wolf reagiert, ziehen sie sich zurück.Warum glaubst du, haben die meisten von uns nur selten Kontakt zu ihren Familien? Weil es nichts Schlimmeres gibt, als in den Augen der eigenen Familie Furcht zu sehen.«
    Nach diesem Satz war David verstummt, eingeholt von der eigenen Vergangenheit. Sein Schweigen hatte bewirkt, dass  Jannik sich rasch wieder erholte und sogar ein zittriges Lächeln aufgesetzt hatte. »Ich kenne mich vielleicht nicht besonders gut aus mit Familiendingen, weil ich im Heim aufgewachsen bin. Aber wer braucht schon Familie, wenn er ein Rudel hat?«
    Diese Frage hallte David nun durch den Kopf, als er die Wohnhäuser hinter sich ließ und einen ummauerten Stadtpark betrat. Obwohl der Park in einem Knotenpunkt des Viertels lag, sah er verlassen aus. Die mit feinem Kiesel ausgelegten Wege verwilderten, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Blumenbeete für den herannahenden Winter abzudecken. Ohnehin gab es nur wenige von ihnen, Buschwerk und Baumriesen machten den

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