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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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Selbstmitleid oder so dominant, dass man sich fürchtete. Sebastian ließ sich nicht täuschen. Er bezweifelte nie, dass Caroline ihn jederzeit mit einem Blick hätte töten können.
    Solveig schien diese Wechselhaftigkeit nie zu hinterfragen, wahrscheinlich bemerkte sie sie nicht einmal. Vielleicht hatte sich seine Mutter einfach mit Carolines sämtlichen Erscheinungsformen verbündet.
    Niemals hätte er gedacht, dass er die alte Solveig jemals vermissen würde. Aber jetzt fehlte sie ihm. Sie entfernte sich immer weiter von ihm und verstrickte sich immer weiter in Carolines Netz. Inmitten dieser klebrigen Fäden schien sie nicht mehr klar sehen zu können, und er war überzeugt, dass sie sich nicht lebend von Caroline hätte befreien können. Er trauerte um Solveig, wie er auch um sich und sein Ausgeschlossensein trauerte. Selten hatte er sich so einsam gefühlt.
    Ohne die Zustimmung des Patienten wurde kein Besuch vorgelassen, aber er hätte nie gewagt, Caroline etwas abzuschlagen.
    »Ist schon okay«, sagte er scheinbar ungerührt und machte eine unbestimmte Handbewegung. Wie ein zweiter »Pate«, obwohl er sich in diesem Krankenhausbett sicher nicht wie ein Patriarch fühlte. Im Grunde war ihm nicht ganz klar, warum er eigentlich in einem Bett lag.
    Er erinnerte sich, dass er, nachdem er sich die Handgelenke aufgeschnitten hatte, den Dreck zwischen den Fugen ganz aus der Nähe sah. Er lag in der Ecke und hatte das Gefühl, dass das Leben langsam aus ihm heraussickerte.
    Eigentlich fühlte es sich an wie kurz vorm Einschlafen, wenn der Körper gleichzeitig schwerer und leichter wird. Er wurde in eine Spirale aus leuchtenden Farben gesogen, die sich immer schneller drehte, bis er jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren hatte. Es war faszinierend und feierlich, und irgendwann wurde es schwarz und er konnte nur noch denken: Jetzt sterbe ich.
    Er war im Notarztwagen aufgewacht, wo ein Krankenpfleger auf der einen Seite der Pritsche stand und Solveig auf der anderen.
    Seltsamerweise konnte er sich nicht erinnern, ob er nun eigentlich wirklich hatte sterben wollen oder nicht. Deswegen verspürte er auch weder Erleichterung noch Enttäuschung, nur Gleichgültigkeit. Er machte die Augen einfach nicht auf und überließ seine Hand den kalten, feuchten Fingern seiner Mutter.
    Erst hörte man ein Geräusch auf dem Flur, dann ging die Tür auf. »Hey du ...«
    Unbewusst hatte er auf den Türspalt gestarrt, seit die Krankenschwester den Besuch angekündigt hatte, daher hatte ihn weder ihre Stimme überrascht noch ihr Aussehen.
    Ihn überraschte vielmehr der Blick, mit dem sie ihn ansah. Sie sah ihn auf eine ganz neue Art an. Er bemerkte, dass sie sich die Augen stark geschminkt hatte, blau-grün glitzernd. Ihr Lippenstift roch fett und klebrig wie Zuckerzeug.
    »Du bist ja kaum wiederzuerkennen«, stellte er fest und zeigte auf die schokoladenbraunen Korkenzieherlocken, die ihr über die Schultern fielen.
    Sie lächelte und senkte den Kopf, um ihm die Plastikklammern zu zeigen, mit denen ihr eigenes kurzes Haar mit den Extensions verschweißt war.
    Ihr Lächeln, das gar nicht mehr aus ihrem Gesicht weichen wollte, machte ihn verlegen. Caroline war die Verbündete seiner Mutter. Obwohl sie längst auch ein Bestandteil seines Alltags geworden war, gab es keine Vertrautheit zwischen ihnen. Im Gegenteil, er hatte ganz deutlich das Gefühl, von der Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein, in deren Mittelpunkt seine tote Schwester stand.
    Solveig war immer noch der Meinung, er hätte Mys Tod verhindern können. Ihre Vorwürfe sprach sie nur deswegen nicht aus, weil sie wusste, dass er sich selbst beschuldigte.
    Er erwiderte Carolines Lächeln nicht.
    Sie zog den Besucherstuhl an sein Bett und lehnte sich vor, sodass er ihre Brüste im Ausschnitt der Bluse sah. Zu seiner Überraschung spürte er dieselbe Mischung aus Erregung, Ekel und Scham, die ihn auch befallen hatte, wenn er Mys nackten Körper zufällig gesehen hatte. Er musste gar nicht lange nachdenken, um den Duft einzuordnen: Sie trug Mys Parfum.
    Da konnte er die aufsteigende Wut nicht mehr unterdrücken, so viel Angst sie ihm auch einflößte: »Du hast dir Mys Parfum draufgetan!«
    Statt zu antworten, legte sie die Arme auf die Decke und übte einen leichten, aber unmissverständlichen Druck auf seine Oberschenkel aus, die prompt zu kribbeln begannen. Er schnappte nach Luft, weigerte sich aber, die Augen abzuwenden.
    Langsam sagte sie seinen Namen, wobei sie jede Silbe

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