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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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aufgebaut.
    Sie mieteten ein Auto und fuhren aufs Land, um die zwei schüchternen Kinder abzuholen, einen Jungen und ein Mädchen, beide still wie die Mäuschen. Sie hatten braune, dünne Körper und glatte Haare, die ihnen wie Helme am Kopf lagen.
    Wie erwartet war es ärmlich und feucht und abscheulich, und die Alte, Lees Großmutter, servierte ihm Tee, ohne ihm in die Augen zu sehen. Als sie schließlich aufbrechen wollten, umschloss sie seine Hände mit ihren runzligen, zittrigen Fingern und ließ den Tränen freien Lauf. Aus ihrem zahnlosen Mund stürzten unverständliche Worte, und er hätte sich gewünscht, dass seine Frau eingriff und ihm diese Peinlichkeit ersparte. Doch sie stand nur daneben und rührte keinen Finger.
    Verlegen zog er seine Hände zurück und setzte sich ins Auto, während Lee und die Kinder sich von der Alten verabschiedeten. Vor der baufälligen Hütte hatte sich mittlerweile eine kleine Menschenmenge gebildet. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut. Nicht nur, weil er so deutlich außerhalb dieser Gemeinschaft stand, sondern weil er ebenso deutlich den Vorwurf in ihren schlitzäugigen Blicken spürte. Manchmal bildete er sich heute noch ein, diesen leisen Vorwurf in Lees Augen zu entdecken.
    Es ärgerte ihn. Dass sie sich weigerte, Autofahren zu lernen. »Ich bezahl es doch«, sagte er immer. »I pay the carschool«, versicherte er in seinem schlechten Englisch. In den ersten Monaten hatte er sie und die Kinder durch die Gegend kutschiert, als hätte er nichts anderes zu tun.
    Ihr Widerstand, wenn er sie im Spaß auf den Fahrersitz schubste und die Handbremse löste, machte ihn wütend. Er sah den ängstlichen Schatten über ihr Gesicht huschen wenn der Motor ansprang, dachte aber, dass ihre Unsicherheit vergehen würde, sobald sie das Fahrzeug lenken könnte.
    Doch daraus wurde nichts. Sie war wirklich ein hoffnungsloser Fall. Vor allem aber hatte sie Angst, und die wurde nicht geringer, nachdem sie neben Carlssons Garage in den Graben gefahren war. Sie ließ einfach das Lenkrad los, hielt sich die Unterarme vor die Augen und trat schreiend aufs Gaspedal.
    Carlsson musste sie mit dem Traktor wieder rausziehen. Während sich sein Nachbar schier totlachte, fand Sven die Situation überhaupt nicht komisch. »Everybody can learn to drive«, beharrte er.
    Seine Worte sollten ermutigend klingen, aber er hörte selbst den säuerlichen Unterton. »Sixteen year old kids can learn, why can’t you?«
    Es war das erste und einzige Mal, dass Lee die Stimme hob. Sie sah ihm fest in die Augen und sagte mit ihrer ganz eigenen Aussprache: »No more drive, understan?«
    Damit war die Sache erledigt.
    Von da an gab es keine Diskussionen mehr, wenn sie mit den Kindern den langen Weg zur nächsten Bushaltestelle antrat.
    Sie schleppte ihre Einkaufstüten über die staubigen Kieswege oder zog sie auf einer kleinen Karre hinter sich her. Die drei schlitzäugigen mageren Gestalten mit den glänzenden Haaren boten wirklich ein Bild des Jammers, wenn sie mit stoischen Mienen Kilometer um Kilometer mit ihrem roten Leiterwagen über Stock und Stein holperten.
    Um dem Spott der Nachbarn zu entgehen, fuhr er sie wieder zweimal pro Woche zum Supermarkt. Obwohl es ihn furchtbar wurmte.
    Albert legte sich auf den Rücken und präsentierte seinen scheckigen Bauch. Sven ging in die Hocke, um ihn zu kraulen. Als Lee aus der Tür trat und über die Wiese zur Teppichstange ging, gönnte das Tier ihr ungefähr so viel Aufmerksamkeit wie einer Fliege auf dem Küchenboden.
    Sie krümmte sich unter dem Gewicht des Wohnzimmerteppichs, bis sie kaum größer war als die beiden Kinder, denen sie eben noch zum Abschied nachgewinkt hatte.
    Wie immer stimmte es Sven fröhlich, dass Lee und er jetzt allein zu Hause waren. Nicht, dass sie viel miteinander reden oder Sex im Wohnzimmer haben oder andere Dinge tun wollten, die in Anwesenheit der Kinder schlecht zu bewerkstelligen gewesen wären. Meistens bewegten sie sich wortlos in ihrem jeweiligen Universum: sie im Haus, er auf der Farm. Aber es fühlte sich schön an. Sie waren zwei erwachsene Menschen, die ihre Aufgaben genau kannten. Schon wenn sie morgens aufwachten, wussten sie genau, wie der Tag aussehen würde.
    Mittlerweile hatte er sich sogar an die Kinder gewöhnt, auch wenn sie ihn mit ihren ruhigen, fragenden Blicken immer noch nervös machten. In ihrer perfekten Selbstbeherrschung lag etwas, was ihm Unbehagen bereitete. Manchmal hörte er sie spätabends hinter der

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