Wintermord
und ihn dann in den Kopf geschossen hatte.
Einen Kfz-Mechaniker dazu zu bewegen, seine Werkstatt einen Moment zu verlassen, war ja kein Kunststück. Der Täter hätte einfach hupen und die Scheibe runterlassen können, und Waltz hätte ihn für einen Kunden gehalten, der mit ihm über Preise diskutieren wollte.
»Er hat Waltz gebeten, sich das Motorengeräusch anzuhören, während er selbst im Auto sitzen blieb und aufs Gaspedal trat. Und dann, als das Opfer nahe genug gekommen war, packte er ihn und hielt ihm die Pistole an den Kopf«, schlug Karin Beckman vor.
»Das deutet darauf hin, dass der Täter dem Opfer nicht bekannt war«, bemerkte Bärneflod. »Ansonsten hätte er sich dem Auto seines Mörders nicht genähert.«
»Wie meinst du das?«, rief Gonzales dazwischen. »Er könnte den Mörder doch gekannt haben, ohne zu vermuten, dass der ihm eine Kugel in den Kopf schießen will. Deutet es nicht darauf hin, dass es ein Bekannter war, wenn er im Auto sitzen bleiben und hupen konnte, statt zu parken, reinzugehen und den Mechaniker zu suchen? Wäre Waltz nicht misstrauisch geworden, wenn ...«
Tell fiel ihnen ungeduldig ins Wort. »Können wir bitte weitermachen? Wir wissen schließlich nicht, ob es sich wirklich so zugetragen hat.«
Im nächsten Moment bereute er seine Worte. Schließlich war ein Klima, in dem man offen diskutierte und seine Spekulationen frei äußern konnte, durchaus wünschenswert. Außerdem musste Tell seinen älteren Kollegen eher ermuntern, damit er in seinem täglichen Kampf gegen die Arbeitsunlust durchhielt.
Karin Beckman hatte tags zuvor Lise-Lott Edell im Haus ihrer Schwester in Sjövik vernommen und fasste zusammen, was sie erfahren hatte. Das Gespräch hatte zwei Stunden gedauert, einschließlich vieler Pausen, in denen Lise-Lott in Tränen ausbrach oder den Faden verlor aufgrund der starken Beruhigungstabletten, die ihr Angelika Rundström verabreicht hatte.
Lise-Lott beschrieb Lars Waltz und stellte eine Liste mit den Namen einiger Personen auf, mit denen ihr Mann Umgang gehabt hatte.
»Wir müssen noch mal mit Lise-Lott sprechen, wenn sie wieder etwas gefasst ist. Gestern konnte ich das Gespräch nur schwer in die richtige Richtung lenken. Außerdem sollte man den therapeutischen Wert solcher Verhöre nicht unterschätzen«, schloss Karin Beckman.
Tell konnte sich gerade noch die Bemerkung verkneifen, dass es keineswegs ihre Aufgabe war, Therapeutin für die Angehörigen des Opfers zu spielen. Er nickte, bemerkte aber aus dem Augenwinkel einen vielsagenden Blick von Bärneflod, der nicht ganz so verständnisvoll ausfiel.
Bärneflod suchte oft seine Zustimmung, wenn es um neumodische Methoden kontra altmodische ehrliche Polizeiarbeit ging. Tell war erst vierundvierzig, und obwohl er sich wunderbar darüber aufregen konnte, wie Karin Beckman gern leichthin alles auf die Fragestellung »männlich/weiblich« zurückführte, und dem Gerede von Quoten und der Einführung eines »weiblichen Denkansatzes« in der Polizeiarbeit durchaus skeptisch gegenüberstand, fühlte er sich unwohl, wenn Bärneflod seine Witzchen über das »Fotzenrudel« und die »Männerhasserinnen« riss.
Ihm war zu Ohren gekommen, dass Karin Beckman im vorigen Jahr mehrere Gespräche mit Ann-Christine Östergren geführt hatte, in denen es um das macho-lastige Klima im Präsidium gegangen war. Im ersten Moment war er völlig perplex gewesen. War er ein Macho, ohne es zu merken?
»Ich habe den Jargon in unserem Präsidium noch nie als spezifisch männlich erlebt«, hatte er etwas defensiv erklärt, »auch wenn es manchmal vielleicht ein bisschen rauer hergeht. Aber das ist wohl unserem Beruf zu verdanken. Polizeijargon eben.«
Er selbst fühlte sich nach zwanzig Jahren im Job ganz wohl damit und neigte zu der Ansicht, wer sich in diesen Korridoren nicht wohl fühlte, sollte sich Gedanken über einen Berufswechsel machen.
»Nichts deutet darauf hin, dass der macho-lastige Jargon innerhalb der Polizei irgendwie konstruktiv wäre«, hatte seine Chefin schroff erwidert. »Ich bin froh, dass Karin Beckman Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit zeigt. Genauso froh wie um Michael, der noch jung ist und die Dinge mit einem ganz unverbrauchten Blick betrachtet. Und auch um Bengt, der ein bisschen älter ist und eine andere Perspektive beisteuert. Und ebenso froh bin ich, dass du eher die treibende Kraft bist und Andreas den nachdenklicheren Part hat.«
Grübelnd legte sie den Kopf auf die Seite. Tell hatte das
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